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Sprachpolizisten und Tabubrecher

Von Walter Hämmerle

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Meinungsfreiheit ist ein wertvolles Gut. Wird diese tatsächlich durch eine pervertierte Form politischer Korrektheit unterminiert?


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Es ist ein vor allem in bürgerlichen Salons beliebtes Thema: Die Rede ist von der gefährdeten Meinungsfreiheit durch Selbstzensur. Gerade hat Thomas Chorherr, der hochbetagte und ehemalige Chefredakteur der "Presse", ein neues Buch darüber geschrieben ("Mund halten oder Meinung sagen", Molden Verlag Wien, 2012). Nach seiner These wagen es immer mehr Bürger nicht mehr, offen auszusprechen, was sie über Politik, Gesellschaft oder Kultur wirklich denken - und zwar aus lauter Angst, durch diese ihre Meinung die Grenzen des allgemein akzeptierten Meinungsspektrums zu verlassen.

Killt "political correctness" die Meinungsfreiheit?

Chorherr tendiert zu einem Ja auf diese Frage - und macht dafür nicht zuletzt die Medien verantwortlich. Natürlich gibt es die Schere im Kopf jedes Journalisten, womöglich ist sie sogar "deformation professionelle", also berufsbedingte Fehlbildung. Das entspricht vielleicht nicht der hehren Vorstellung von den Medien als vierter Gewalt, die - unerschrocken und unbestechlich zugleich - für kritische Öffentlichkeit sorgt, dafür aber sehr wohl der mühsamen Realität. Auch Journalisten sind nur Spiegelbilder ihrer Zeit mitsamt all ihren strukturellen Abhängigkeiten und persönlichen Vorlieben.

Darüber hinaus wird die Lage in Österreich, wie nicht anders zu erwarten, noch verkompliziert durch einige Eigenarten dieses Landes. Hier prallen etwa Sprachpolizisten und Tabubrecher - beide selbstredend selbsternannt - mit einer unerbittlichen Leidenschaft aufeinander, die allzu leicht ins Lächerliche abgleitet. Die einen im Namen der Menschenwürde, die anderen unter dem Banner der Meinungsfreiheit. Nüchtern betrachtet taugt aber wohl weder Mohrenbräu noch Zigeunerspieß und auch nicht der "Mohr im Hemd" zum Lackmustest für den Zustand der Meinungsfreiheit, dafür fehlt es ihnen schlicht an gesellschaftlicher Relevanz. Und leichter können sich nie wieder Befürworter und Gegner zu Opfern stilisieren.

Ernster ist die Frage, mit welchen Namen Minderheiten bezeichnet werden. So bringt es wenig, zur Ehrenrettung der "Zigeuner" mit dem Hinweis anzutreten, dass doch STS Mitte der 80er Jahre einen Austropop-Hit selben Titels gelandet haben. Damals war auch die UdSSR noch das "Reich des Bösen", seitdem hat sich die Welt weitergedreht. Und wenn sich Adressaten durch eine Bezeichnung verletzt fühlen, gebieten es Respekt und Höflichkeit, Alternativen zu suchen. In den Gebeten der Kirche ist ja auch nicht mehr von "Weibern", sondern von "Frauen" die Rede.

Und natürlich gibt es Themen zuhauf, bei denen es schwerfällt, gegen die Mehrheitsmeinung anzuargumentieren. Wer George W. Bush junior etwa nicht für völlig debil, Mitt Romney nicht für die Inkarnation eines kapitalistischen Blutsaugers, Che Guevara für einen Massenmörder oder Schwarz-Blau keineswegs als Ausgeburt perfiden Machtstrebens betrachtet, der wird eher wenig Applaus in öffentlicher Debatte erhalten. Das hatten allerdings Minderheitsmeinungen stets an sich. Und öffentlich sagen kann man all diese Dinge sehr wohl.