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Sprachschatz statt Einsprachigkeit

Von Alexia Weiss

Politik

Die meisten Kinder sprechen mit ihren Eltern Deutsch, auch in den Migrantenfamilien. | Oft mindert das aber eher den Bildungserfolg. | Wien. Auch Kinder mit Migrationshintergrund sprechen daheim großteils Deutsch. Das ergab eine umfassende Sprachenerhebung, die im Rahmen des Projekts "Multilingual Cities" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt wurde. Es beteiligten sich 234 der 260 Wiener Volksschulen. 19.453 neun- und zehnjährige Schüler haben mit Hilfe von Studenten der Pädagogischen Hochschule Wien komplexe Fragebögen ausgefüllt.


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60 Prozent der Befragten haben Migrationshintergrund - sie sind also entweder im Ausland geboren oder haben mindestens einen Elternteil, der nicht in Österreich zur Welt kam. Einsprachigkeit ist in der Familie dennoch sehr verbreitet: In 37,5 Prozent aller Familien wird nur Deutsch gesprochen. Migrantenkinder, die in Österreich geboren wurden, sprechen zu Hause sogar zu 44 Prozent ausschließlich Deutsch.

Insgesamt verwenden 93 Prozent der Befragten zu Hause Deutsch, wenn auch nicht ausschließlich und auf unterschiedlichem Niveau. An zweiter Stelle liegt Türkisch mit 15 Prozent, gefolgt von Serbisch und Englisch mit je zwölf Prozent. Die Schüler kommen aus insgesamt 145 Ländern und sprechen 110 Sprachen.

Das Umfeld ist mehrsprachig

Dass ein Kind in seinem gesamten Umfeld Deutsch als einzige Sprache spricht, kommt in Wien aber kaum mehr vor. Nur 2,5 Prozent der Kinder gaben an, sowohl in der Familie als auch mit Freunden und in der Schule nur Deutsch zu sprechen, diese Sprache am besten zu beherrschen und am liebsten zu haben.

Bei dieser Studie habe man sich nicht auf Sprachdefizite konzentriert, sondern auf das, "was Kinder können", betont die Projektleiterin, die Sprach- und Migrationsforscherin Katharina Brizic bei der Präsentation der Studie im Wiener Stadtschulrat: "Es ist mir persönlich auf die Nerven gegangen, dass es zum Thema Schule immer nur eine Problematisierung gibt."

Bei der Einschulung wird nach der Muttersprache gefragt. Wie die Erhebung zeigt, ist die Frage oft gar nicht so leicht zu beantworten. Eine Sprache plus Deutsch sprechen 41 Prozent der befragten Kinder, zwei Sprachen plus Deutsch 14 Prozent, drei Sprachen plus Deutsch 2,5 Prozent, vier Sprachen plus Deutsch 0,5 Prozent. Vielsprachigkeit kommt vor allem bei Kindern vor, die eine jüdische Schule besuchen, sowie in türkischen Haushalten und in Roma-Familien aus dem Kosovo und Mazedonien.

Grundsätzlich gewinnt Deutsch von Generation zu Generation an Stellenwert. Aus den Faktoren Sprachverständnis, Sprache, die mit der Mutter gesprochen wird, am besten beherrschte sowie liebste Sprache errechneten die Wissenschafter den Vitalitäts-Index. Bei der ersten Zuwanderergeneration erreicht er für Deutsch den Wert 60, steigt bei der zweiten auf 73 und beträgt bei der dritten Zuwanderergeneration 97. Sprachen wie das Romanes geraten parallel dazu von Generation zu Generation ins Hintertreffen.

Und dennoch: Auch wenn man die Sprachkenntnisse der Kinder als Schatz begreift, haben viele in der Schule Probleme, auch jene, die bereits in der Familie nur Deutsch sprechen. Mehr noch: Spricht eine Mutter, die nur geringe Deutschkenntnisse hat, mit ihrem Kind nur diese Sprache - eigentlich um es zu fördern -, gibt sie ihm eine ärmliche Sprache mit. Im Wien passiert das heute teilweise in Roma- und türkischen Familien. "Wir konzentrieren uns auf Deutsch - und übersehen dabei Grundlegendes", meint Brizic.

Wie mit diesen Ergebnissen umgehen? Die Wissenschaft kann keine Handlungsanleitungen geben, betont Brizic. "Ich glaube, die ersten Schritte müssen ganz klein sein." Man müsse zurücktreten und sagen, "prinzipiell kenne ich die Sprachen der Kinder nicht". Die Muttersprache sei nicht so einfach zu bestimmen, hier brauche es vor allem Zeit für die Diagnostik. An Zeit mangle es aber generell. Lehrerinnen hätten darüber geklagt, dass sie nicht einmal Zeit hätten, sich mit den Kindern zu unterhalten. Doch genau diese Kommunikation würde die Sprachkenntnisse verbessern.

Was hier übersehen wird, könnte dafür nun in der auf die Sprachenerhebung der Schüler folgenden Untersuchung herausgefunden werden: Eltern und Lehrern werden in Tiefeninterviews zum Thema befragt. Eines aber betont Brizic schon jetzt: "Der Muttersprachenunterricht muss ernst genommen werden." Mit zwei Stunden in der Woche werde man hier nicht zu einem guten Ergebnis kommen.