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Sprechblasen zur Primetime

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Gebrauchsredner und Gebrauchsschreiber aller Gattungen in des Kaisers neuen Kleidern vorgeführt.


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Es geschah unbemerkt. Ein hungernder, dadaistischer Schweizer Maler namens Dieter Roth wird 1974 von schreiberischem Drang befallen und tippte ein Bühnendrama mit dem Titel "Murmel" in seine Schreibmaschine. Was mit diesem Wort begann, brachte er nach 176 Seiten im Format 18 x 11,5 cm mit eben diesem zu Ende. Und dazwischen nur, Seite für Seite "Murmel, Murmel, Murmel". Das ganze Opus liest sich im Auszug etwa so:

Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel.

Es mag nicht überraschen, dass sich für das Bühnenspiel kein Verleger fand und Kenntnis von dem Erstlingswerk auf eine überschaubare Zahl beschränkt blieb. 1998 starb Roth und hat wohl nie ernsthaft damit gerechnet, dass sich je in einem Theater von Renommee für "Murmel" der Vorhang heben würde. Und er hebt sich doch. Regisseur Herbert Fritsch und der Berliner Volksbühne sei’s gedankt.

Und die Leute kommen aus nah und fern in das renommierte Haus (Max Reinhardt war hier dereinst Intendant), hören an die zwei Stunden "Murmel, Murmel" und sind "hingerissen". So jedenfalls der Kritiker Benedikt Gondolf. Ebenfalls hingerissen, attestiert er dem Regisseur: "Er will die Welt nicht pseudo-intellektuell interpretieren, sondern sie in ihrem ganzen Wahnwitz und ihrer geheimnisvollen Schönheit hören und sehen lassen."

Auch andere Kritiken überschlagen sich im grünen Bereich. So etwa die einer Katrin Wittneven im Berliner "Tagesspiegel". Begeistert - wenn auch nicht ganz richtig - titelt sie: "Und sie sagten ein einziges Wort." Gleich danach verrechnet sie sich schon wieder: "Sechs Buchstaben genügten ihm (Meister Roth), um ein 176 Seiten langes Theaterstück zu schreiben." Falsch! M+U+R+E+L ergibt 5 (das "M" kommt ja in "Murmel" zweimal vor).

Und doch sind es just die selbstverliebten Formulierungen (und Rechenfehler) der Kritiker, die das Bühnenstück als moderne Variante von "Des Kaisers neue Kleider" begreifen lassen. Unübersehbar ist: Irgendetwas wollte der Dadaist Roth 1974 mit "Murmel" loswerden. Schließlich arbeitete er unsubventioniert. Was aber könnte es sein? Die Kritiken geben die Antwort. Man braucht nur ihren narzisstischen Wortfluss zu ersetzen mit "Murmel, Murmel, Murmel, Murmel, Murmel".

Das wiederum führt zu einer journalistischen Variante des Roth-Stückes in Interviewform.

Frage: Frau Finanzminister, ist der Euro nach der Griechen-Wahl und mit François Hollande als Neuem im Élysée noch zu retten?Maria Fekter: Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla, Bla.



Ob diese ganz und gar nicht neue Erkenntnis schon einen ganzen (Theater-)Abend wert ist, bleibt dahingestellt.