Strafprozess um Massenschlägerei startet mit Sprachproblemen.
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Wien. Richter Daniel Potmesil vergräbt das Gesicht in den Händen. Nur wenige Minuten nach Prozessbeginn muss er die Verhandlung unterbrechen. Der Grund: Die zwei unterschiedlichen Sprachen Dari und Paschtu, die man in Afghanistan spricht. Der anwesende Dolmetscher spricht nur Dari, einige der afghanischen Angeklagten verstehen aber nur Paschtu. "Ein Missverständnis", wie Potmesil festhält. Nach dem ihm vorliegenden Informationen sollte der Dolmetscher beide Sprachen beherrschen.
Knapp eineinhalb Stunden dauert es, bis der Ersatzdolmetscher erscheint. Erst dann werden die zehn Angeklagten vernommen. Eigentlich sind elf Personen angeklagt: Ein Mann ist aber unauffindbar. Die fast durchgängig afghanischen Jugendlichen sollen am 5. März 2016 eine tschetschenische Gruppe in Wien-Brigittenau attackiert haben - teils mit Schraubenziehern, Messern und Eisenstangen. Sieben Opfer wurden verletzt, drei davon schwer. Ein Opfer überlebte dank einer Notoperation. Die Staatsanwaltschaft legt den Angeklagten schwere gemeinschaftliche Gewalt zur Last. Drei Angeklagten wird zusätzlich absichtlich schwere Körperverletzung vorgeworfen. Am Freitag hatten sie sich vor einem Schöffensenat des Straflandesgerichts Wien zu verantworten.
Schwierigkeiten mit Ersatzdolmetscher
Selbst mit dem Erscheinen des Ersatzdolmetschers reißen die Probleme aber nicht ab. "Sie müssen ,Ich schwöre‘ auf Deutsch sagen", belehrt Potmesil den Laien-Dolmetscher, nachdem dieser seine Beeidigungsformel in die paschtunische Sprache übersetzt hat. "Sprechen Sie Deutsch?", fragt der Richter sicherheitshalber nach. "Ja", antwortet der Dolmetscher.
Begleitet von störenden Pipsgeräuschen, die von einem Mikrofon stammen dürften, werden die Personalien der Angeklagten überprüft. Zur Sache bekennen sich alle nicht schuldig. Sie hätten sich nur verteidigt oder seinen nicht involviert gewesen, so der allgemeine Tenor. Sein Mandant sei "ein Schaulustiger" gewesen, sagt etwa Leonhard Kregcjik, der Verteidiger des Viertangeklagten. "Manche zahlen ja auch für einen Boxkampf", sagt er. Hinsichtlich der Verletzungen stützt sich die Anklage auf die Angaben der Opfer und einiger Angeklagter. Die Tatwaffen konnten nicht sichergestellt werden. Es gebe "keine konkrete Zuordnung und biologische Spur", kritisiert Verteidiger Andreas Strobl.
Der Schlägerei vorausgegangen dürften über Facebook ausgetauschte Beleidigungen zwischen einem 16-jährigen Afghanen und einem Tschetschenen sein. Dabei dürfte es neben schwulenfeindlichen Beschimpfungen auch um die Mutter des Afghanen gegangen sein. "Ich wollte ihn fragen, warum er das schreibt", sagt der 16-Jährige. Man habe sich bei einem Treffen aussprechen wollen. Er habe nur einen Dolmetscher mitgenommen, die Tschetschenen hätten schon mit Waffen gewartet.
Nach der Vernehmung des 16-Jährigen - er spricht Dari - wird der Laiendolmetscher gebeten, die Aussage für die Angeklagten ins Paschtunische zu übersetzen. Ohne Erfolg. Ein Angeklagter reklamiert. "Er versteht nur muttersprachliche Paschtu-Sprecher", erklärt seine Verteidigerin. Der Dolmetscher wird daraufhin entlassen, Potmesil verspricht Ersatz. Demnächst wird weiterverhandelt. Der Prozess ist vorerst bis Mitte November anberaumt.