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Sprechen, wie man schreibt

Von Stefanie Holzer

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Der berühmte Fragebogen, den Marcel Proust ausgefüllt hat, fragt unter vielen anderen Dingen nach einer am meisten bewunderten Reform. Stellte man mir diese Frage, würde ich ohne Zweifel die Rechtschreibreform ins Treffen führen. Es ist undenkbar, dass eine andere Reform in so kurzer Zeit mehr an Abänderungen, Rücknahmen, kurz Folgereformen gezeitigt hätte. Wie im Walt-Disney-Film "Unser Freund, das Atom" ließ die Rechtschreibkommission eine einzige Mausefalle zuschnappen, und seither ist die Hölle los unter all den schreibenden und lesenden Tischtennisbällen. Man spricht über die Sprache.

Nicht nur wird in den stündlichen 5-Minuten-Nachrichten im Radio berichtet, dass sich nun nach der "FAZ" und der "Presse", die sich gar nicht erst umgestellt hat, auch der deutsche Hochschulverband dazu entschlossen hat, wieder zur bisher üblichen Schreibung zurückzukehren. Die Sprecher nehmen ihre Sprache wichtiger, als das den Reformern klar gewesen sein - 75 Prozent der Deutschen gaben an, sich um die neuen Regeln erst gar nicht gekümmert zu haben.

Im Abendjournal am Dienstag konnte man allerdings hören, dass die Rechtschreibreform sich bei uns bereits auf die Aussprache unserer Muttersprache auswirkt: Ältere Semester haben gelernt, dass "man schreibt, wie man spricht", insbesondere die s, ss und ß. Daraus schlossen zwei Radiosprecher, dass jene schwarze Masse, bei der Verbrennung von Diesel entsteht, nicht "Ruß" mit langem u, sondern "Russ" mit kurzem u sei . . .