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Sprengt größere Durchlässigkeit das Schulsystem in Österreich?

Von Heike Hausensteiner

Politik

Lehrer, die ihre Berufung zu ihrem Beruf gemacht haben, ermuntern ihre potenziellen Nachfolger zu dem Job. Doch viele Junglehrer wechseln vom öffentlichen Dienst in eine Privatbranche oder übernehmen Gelegenheitsjobs. Die Gründe: mangelnde Berufsaussichten und Lebenserhaltungskosten.


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Sprachenlehrer werden Fremdenführer und Geschichtelehrer Unternehmensberater, andere spezialisieren ihre Softwarekenntnisse. Nicht jeder wird Minister (Fred Sinowatz, Helmut Zilk, Christa Krammer, Elisabeth Gehrer) oder Popsänger (Reinhold Bilgeri, Klaus Eberhartinger).

Iris war vom Schulalltag ausgepowert und hat den Lehrerberuf an den Nagel gehängt. Jetzt arbeitet sie in einem privatisierten ehemaligen Staatsbetrieb. Auch da sind ihre Aufstiegschancen beschränkt, hätte sie doch lieber einen Akademikerposten. Nun spielt sie mit dem Gedanken, wieder an die Schule zurückzukehren. Aber: "Es schaut schlecht aus."

Petra hat es gleich gar nicht versucht. Ihr Sprachenstudium hat sie ohnehin nicht aus Liebe zum Lehrberuf absolviert. Dass es in der Schule eng ist, hat Gernot am eigenen Leib erlebt. Seit drei Jahren ist er Programmkoordinator einer Internationalen Sommerhochschule. "Meine Interessen haben sich völlig verschoben. Jetzt bin ich in meinem Job eingearbeitet." Er kann sich aber vorstellen, in zehn Jahren vielleicht in den Lehrerberuf zurückzukehren.

Es sei absolut lohnend, Lehrer zu werden - "wenn das jemand aus Überzeugung macht, wenn jemand an der Ausbildung und Erziehung der künftigen Generation mitwirken will", sagen leidenschaftliche Lehrer. Ein Argument, das sie selbst nur hinter vorgehaltener Hand anführen, sind die Ferien. Dem halten Gewerkschaftsvertreter (und nicht nur sie) entgegen, der Durchrechnungszeitraum der Arbeitszeit erstrecke sich über das ganze Jahr.

Nach dem Motto "ich geh´ auf Nummer sicher" würden sich auch viele in die Obhut des Bundes begeben. Das Problem von Lehrern wie Militärangehörigen, die den Job wechseln wollen, sei, dass sie "unbeholfen" sind, plaudert der Unternehmensberater Othmar Hill aus seiner Erfahrungskiste. Lehrer seien jahrelang "abgeschottet", hätten keinen Bezug zur wirtschaftlich organisierten Berufswelt und "fürchten sich vor dem Aussteigen". Hill rechnet, dass rund 40 Prozent der Lehrer den falschen Beruf ausüben oder "zumindest ein bisschen falsch liegen". Der Wirtschaftspsychologe bezeichnet das als "Fehlallokation". Ein weiteres Argument für eine - mitunter falsche - Berufswahl sei das Geld. Außerdem gebe es "oberflächliche Opportunitätsgründe" ("meine Freundin geht in die HAK, also gehe ich auch in die HAK"; "mein Freund studiert Jus, also studiere ich auch Jus").

Hill erneuert gegenüber der "Wiener Zeitung" seine Kritik, dass in Österreich die Schullaufbahn- und Berufsberatung versage bzw. gar nicht existiere. "Das ist die größte Verschwendung, die wir uns als reicher Staat leisten." Für die Lehrer sei das ebenso "ein großes Desaster" wie für deren "Kunden", die Schüler. Zumal der Beruf eine hohe soziale Kompetenz erfordere.

Um die berufliche Flexibilität von Lehrern zu fördern, kann sich Gernot liberalere Strukturen vorstellen. Das Schulsystem sollte durchlässiger werden in beide Richtungen, so dass Lehrende leichter in die Privatwirtschaft wechseln können und umgekehrt. "Das wäre Dynamit für das Schulsystem."

Hill fordert, dass das Pädagogische Institut (zuständig für die Lehrerfortbildung) Übergangsprogramme schaffen solle. Eine Eignungsdiagnostik müsse eingeführt werden. Psychotests seien nichts Böses. "Die Menschen sind gleichwertig, aber nicht alle sind gleich."