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Sprunghafter "Weltökonom" zeigt EU die kalte Schulter

Von Piotr Dobrowolski

Europaarchiv

Wieder einmal sorgt Tschechiens Präsident Vaclav Klaus für Spannungen mit der EU. Doch auch der bevorstehende Austausch des tschechischen EU-Kommissars Pavel Telicka ist in Brüssel nicht unumstritten.


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"In wenigen Tagen wird unser Land als eine souveräne nationalstaatliche Einheit zu existieren aufhören." Das sagte Tschechiens Präsident Vaclav Klaus kurz vor der Osterweiterung der Europäischen Union. Nun sorgt ein anderes Zitat des 63jährigen Wirtschaftsprofessors für Aufregung. Falls eine Europäische Verfassung Wirklichkeit wird, werde er darauf verzichten, sie zu unterzeichnen erklärte Klaus dieser Tage in einem Fernsehinterview. Im Rahmen einer "Arbeitsteilung" wolle er dieses Geschäft "jemand anderem" überlassen. Gemeint war Regierungschef Stanislav Gross.

Inzwischen hat der Präsident zwar eingelenkt und der Tageszeitung "Mlada Fronta Dnes" gegenüber bekannt: "Ich schließe nicht aus, dass ich die Verfassung unterzeichne", doch die hochgehenden politischen Wogen vermochte er nicht mehr zu glätten. Wortreich stritten Tschechiens Journalisten, Politiker und Verfassungsrechtler, ob denn der tschechische Präsident eine Europäische Verfassung überhaupt unterzeichnen müsse und ob das nicht ohnehin die Aufgabe des Premiers sei. Je länger die Diskussion andauerte, desto öfter kam sie allerdings auch auf Grundlegenderes: Auf die Frage ob Klaus als erklärter EU-Skeptiker mit unübersehbaren außenpolitischen Ambitionen Tschechien mehr nütze oder mehr schade.

Die Antwort fiel je nach ideeller Nähe der Diskutanten zum Hradschin unterschiedlich aus. Klar ist aber, dass Klaus seine europaskeptischen Ansichten wieder offensiver vertreten will. So hat der Präsident - im Gegensatz zu Premier Gross, der diesbezüglich kaum Aktivitäten entwickelt - sich im Sommer der frisch gewählten tschechischen EU-Parlamentarier angenommen und sie zu einem Treffen auf den Hradschin eingeladen. Einer der Hauptpunkte bei der viel beachteten Unterredung war die Frage, wie Tschechien seine nationalen Interessen innerhalb der Union besser durchsetzen kann - bekanntlich ein Steckenpferd des Präsidenten, der davon überzeugt ist, dass die Erweiterung vor allem der "Brüsseler Bürokratie" diene, nicht aber den neuen Beitrittsstaaten. Denn für den "Weltökonomen" Klaus, wie ihn seine Anhänger bezeichnen, ist die EU in wirtschaftlicher Hinsicht ein fast schon sozialistisches Projekt: "Es dominiert das überholte deutsche Modell eines überfürsorglichen Sozialstaats". Klaus wünscht sich hingegen ein "wirklich freies" Europa "ohne Staatspaternalismus und ohne pseudomoralischer politischer Korrektheit".

Ob das Treffen Folgen für die politische Tagesarbeit der eingeladenen EU-Parlamentarier haben wird, bleibt abzuwarten. Der innenpolitische Nutzen, den Klaus schon jetzt daraus ziehen kann, ist indessen unabstreitbar. Sogar die Kommunisten, den ökonomischen Ideen des rechten Präsidenten gegenüber von Natur aus kritisch eingestellt, zollen ihm für seine Initiative Respekt: "Ich würde mir wünschen, dass auch die Regierung einen solchen Dialog mit den Europaparlamentariern sucht", kommentiert der kommunistische Europaabgeordnete Jri Mastalka.

Spidla verdrängt Telicka

Die von Mastalka angesprochene Regierung ist allerdings mit anderem beschäftigt: Kaum hat Premier Gross die Vertrauensabstimmung im Parlament knapp überstanden, sieht er sich erwartungsgemäß massiven Problemen bei der Sanierung des Staatshaushalts gegenüber, die inzwischen bereits Tschechiens Glaubwürdigkeit auf den Finanzmärkten schwächen. Jüngst hat die Rating-Agentur Standard & Poor`s die Bonitätsbewertung für längerfristige tschechische Staatspapiere in Inlandswährung um eine Stufe heruntergesetzt. Für übermäßiges Engagement in Europafragen bleibt Gross da wenig Zeit. Die letzte größere EU-bezogene Aktion der tschechischen Regierung bestand darin, den zurückgetretenen Premier Vladimir Spidla als EU-Kommissar zu installieren. Freunde hat sich Gross damit nur bedingt gemacht. Denn Spidla verdrängt damit den tschechischen Kommissar Pavel Telicka, der als Tschechiens früherer Chef-Unterhändler in Brüssel durchaus gern gesehen war und eigentlich bis 2006 amtieren sollte. Telickas weiteres Schicksal ist jetzt offen. Eine Rundfunkmeldung, wonach der Diplomat stellvertretender Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident werden soll, wurde von Telicka dementiert.