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Staat bleibt bei Integration zurück

Von WZ-Korrespondent Christian Giacomuzzi

Europaarchiv

Sarkozy für "positive Diskriminierung". | Lehrer streiken gegen Kürzung bei Bildung. | Paris. Seit den Vorstadtkrawallen ist in Frankreich viel von Ausländerintegration die Rede, die Staatsverwaltung selbst geht aber nicht mit gutem Beispiel voran. Laut einer Studie des französischen Statistikamtes sind Franzosen fremder Herkunft untervertreten im öffentlichen Dienst.


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So gibt es keinen einzigen Abgeordneten, nur drei Senatoren algerischer Abstammung sowie rund 150 auslandsstämmige Regionalrats- und Gemeinderatsabgeordnet. "Das ist völlig unzureichend, um in der französischen Gesellschaft sichtbar zu werden", meinte Segha Doucoure, Staatsbeamtin malischer Herkunft, die einen afrikanischen Vereinsverband in Frankreich leitet.

Dennoch befürwortete Präsident Jacques Chirac (UMP) auch nach der Gewaltwelle Ende Oktober und Anfang November in den benachteiligten Vorstadtvierteln weder eine Quotenregelung noch eine "positive Diskriminierung", wie sie hingegen Innenminister Nicolas Sarkozy (UMP) verlangt.

Integrationsmodell Frankreichs hat ausgedient

Sarkozy räumte ein, dass das französische Integrationssystem nicht mehr funktioniere. Als Lösung schlug er allerdings nicht eine vermehrte Integration, sondern eine "bessere Auswahl der Einwanderer" vor. "Es ist leichter, Menschen zu integrieren, die man sich ausgesucht hat, als Menschen, die man nicht ausgewählt hat und die zu zahlreich sind", sagte der Innenminister am Donnerstag gegenüber der Tageszeitung "Ouest France". Er wolle aber keine Quotenregelung einführen, sondern eine "positive Diskriminierung à la francaise". "Die Republik hat nicht die Pflicht, allen dasselbe zu geben, sondern massiv jenen zu helfen, die es am meisten nötig haben", betonte der konservative Politiker.

"Der Staat ist rassistischer als die Privatunternehmen, in denen die sichtbaren Minderheiten besser vertreten sind", empörte sich Leila Leghmara, Stadträtin für das Schulwesen in der Pariser Vorstadtgemeinde Colombes. In der Tat zählt die Regierung von Premier Dominique de Villepin (UMP) nur zwei "Söhne von algerischen Immigrantenfamilien". Es handelt sich um Integrationsminister Azouz Begag und Veteranen-Staatssekretär Hamlaoui Mekachera.

Im Außenministerium rückt man in den Vordergrund, dass den Franzosen ausländischer Herkunft die Karriere in der Staatsverwaltung "durch die Kenntnis seltener Sprachen oder einer besonderen geopolitischen Region erleichtert" werde. Das war bei der 51-jährigen Malika Barek, seit 1982 im Dienst des Quai d´Orsay und nunmehr Botschafterin in Manama (Bahrain), der Fall. Aissa Touazi, Beraterin von Außenminister Philippe Douste-Blazy (UMP), empört sich allerdings nicht nur über die geringe Anzahl der Politiker und Funktionäre ausländischer Herkunft, sondern auch über deren "Ghettoisierung".

"Ghettoisierung der Aufgabenbereiche"

"Man überlässt uns nur Aufgabenbereiche, die mit den Ausländern in Zusammenhang stehen oder von geringer Bedeutung sind", betont Touazi und fügte hinzu: "Man verlangt von den Arabern, sich um die Araber zu kümmern. Man opfert die Chancengleichheit auf dem Altar der Herausbildung von ethnischen Gemeinschaften."

Dies ist auch in den Parteien der Fall. So kümmert sich etwa bei der Regierungspartei "Union für eine Volksbewegung" (UMP) Abderahmane Dahmane um die Immigrantenvereinigungen und bei den Sozialisten (PS) Malek Boutih, vordem Präsident von "SOS Rassismus", um Gesellschaftsfragen.

Leila Leghmara, Tochter eines 1960 in Frankreich eingereisten algerischen Fabrikarbeiters, erinnert daran, dass die Lage in den Hochschulen nicht besser aussieht. In den Elite-Kaderschmieden, den so genannten "Grandes Ecoles", stellen die Kinder von Immigranten nur fünf Prozent der Studenten. Erst in jüngster Zeit haben einige Prestige-Unis wie etwa "Science Po" Abkommen mit Vorstadtschulen geschlossen, denen zufolge außerhalb der offiziellen Wettbewerbe Studenten aus sensiblen Vorstädten, aber mit gutem Maturazeugnis, aufgenommen werden sollen.

In Frankreichs Schulwesen gab es am Donnerstag übrigens einen Streik: Die Lehrergewerkschaft wies unter anderem darauf hin, dass Budgetkürzungen im Bildungsbereich vor allem die "unterprivilegierten Vororte" treffen würden. Der Bahnverkehr lief nach einem zweitägigen Streik wieder normal.