)
Der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU-Staaten soll verschärft werden. Die EU-Kommission legte neue Vorschläge vor. Dazu fällt mir einiges ein.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Zunächst: Ja, selbstverständlich kann Staatsverschuldung ein ernstes Problem sein oder werden. Für Österreich wurde geschätzt, dass die Zinsen für Staatsschulden von 2009 bis 2014 von 7 Milliarden auf 11 Milliarden Euro steigen, wenn nicht Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Konsolidierung muss also sein, früher oder später.
Nur: Hat der bisherige Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) Stabilität, geschweige denn Wachstum in der EU gefördert? Nein. Wieso werden dann noch schärfere Regeln das tun?
Haben Spanien und Irland die Regeln des bisherigen SWP genau eingehalten? Ja. Die Staatsverschuldung war nicht die Ursache der jetzigen Misere in diesen Ländern, sondern die private Verschuldung und unverantwortliches Verhalten von Banken.
Estland würde künftig bei einer Überschreitung der 3-Prozent-Defizitgrenze sanktioniert. Ein Zwergstaat, dessen Schulden weniger als 10 Prozent des BIP betragen (Österreich: derzeit bei 70 Prozent). Wozu soll das gut sein? Im Tandem wirken die Grenzen von 3 Prozent (Defizit) und 60 Prozent (Schulden) prozyklisch. Denn: Je höher die Wachstumsrate des BIP, desto höher ist das zulässige Defizit. Seit wann ist das sinnvoll?
Die neuen Regeln sehen unter anderem vor, dass ein Staat, dessen Schulden 60 Prozent des BIP übersteigen, binnen drei Jahren ein Zwanzigstel der Differenz zu 60 abbauen muss. Betrachten wir also Griechenland. Schulden Ende 2010: bei 130 Prozent des BIP. 2013 wären es 126 Prozent und 2060, also in 50 (!) Jahren, immer noch rund 90 Prozent. Auf diese Weise wird das Griechenland-Problem sicher nicht zu lösen sein.
Was wäre also zu tun? Vor allem eines: die Disziplinierung durch die Finanzmärkte nicht vollständig zu untergraben. Höhere Risikoprämien für insolvenzgefährdete Staaten sind ein wichtiges Signal, dass die Budgetpolitik aus dem Ruder läuft. Diese Prämien sind dann berechtigt, wenn die Gläubiger (etwa Banken) tatsächlich ein Risiko tragen. Und das tun sie dann, und nur dann, wenn ein Staat - und sei es auch ein Mitglied der Eurozone - tatsächlich pleite gehen kann. Zahlungsunfähigkeit eines Staates, der sogenannte Sovereign Default, ist weder ungewöhnlich noch unbeherrschbar in seinen Auswirkungen.
Freilich, Panikreaktionen sind auf den zur Hysterie neigenden Märkten nicht auszuschließen. Deshalb braucht es einen permanenten EFSF (European Financial Stability Facility), wie er gerade aus der Taufe gehoben wurde. Und deshalb braucht es das Hirnschmalz der Ökonomen, wie ein Sovereign Default in einem geordneten Rahmen abgewickelt werden kann. Dann werden die Märkte nicht wieder ins Wachkoma verfallen (wie bis zur Griechenland-Krise) und die Finanzminister rechtzeitig disziplinieren. Auch ohne die unsinnigen Regeln des europäischen SWP.
Alexander Van der Bellen ist Abgeordneter der Grünen zum Nationalrat.