Berlin - 300 Akten-Bände hatte die DDR-Staatssicherheit über den Dissidenten Robert Havemann zusammengetragen. Neben Kopien der Schnüffel-Papiere liegen im Archiv der Berliner Robert-Havemann-Gesellschaft auch Korrespondenzen, Manuskripte sowie Filmmaterial über den Mann, der in der DDR lange Zeit als Staatsfeind Nummer1 galt. Vor 20 Jahren, am 9. April 1982, starb Havemann in Grünheide bei Berlin im Alter von 72 Jahren.
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"Vor allem Studenten kommen, um sich über die vielschichtige Biografie Havemanns oder sein Werk zu informieren", sagt Archivar Werner Teuer. Nach einer Flaute steige derzeit wieder das Interesse an DDR-Vergangenheit. Er selbst sei Havemann zwei Jahre vor dessen Tod begegnet. "Ich war beeindruckt. Er hat trotz Krankheit und Hausarrest Ruhe und Kraft ausgestrahlt."
Mehr als 200 Stasi-Spitzel waren auf Havemann angesetzt. 1976 war der prominente DDR-Kritiker in seinem Wohnhaus in Grünheide unter Arrest gestellt und bewacht worden, nachdem er sich offen gegen die Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann gewandt hatte. Bis zu Havemanns Tod versuchte die DDR-Führung vergeblich, den auch im Westen bekannten Dissidenten mundtot zu machen.
Wegen der Verfolgung des Regimekritikers und wegen Rechtsbeugung wurden im Sommer 2000 zwei frühere DDR-Staatsanwälte zu Bewährungsstrafen verurteilt. Sie waren in den 70er Jahren an zwei Prozessen gegen Havemann beteiligt.
Das Havemann-Archiv wurde 1994 eröffnet. Havemanns Witwe Katja hatte einen Großteil des Nachlasses zur Verfügung gestellt. Die 1990 gegründete Gesellschaft will Geschichte und Erfahrungen von Opposition und Bürgerbewegung in der DDR sowie in Mittel- und Osteuropa vermitteln. Die gesammelten Dokumente über die Wendezeit sind auch eine Fundgrube für Historiker.
Der 1910 in München geborene Havemann war in der Nazi-Zeit im Widerstand aktiv. 1943 wurde der studierte Chemiker zum Tode verurteilt, überlebte aber das Zuchthaus, weil er für kriegswichtige Forschungen gebraucht wurde. Nach der Befreiung durch die Sowjets engagierte er sich an der Ost-Berliner Humboldt-Universität auch in der SED, war Volkskammer-Abgeordneter und wurde Nationalpreisträger.
Doch zunehmend vertrat er kritische Ansichten, die der offiziellen Linie zuwider liefen. Im Wintersemester 1963/64 wandte sich der unbequeme Mahner mit einer berühmt gewordenen Vorlesung gegen die diktatorische Staatspartei SED: "... Man darf die Menschen nicht konfektionieren und behördlich genehmigten Ansichten unterwerfen, was sie nur zu schematischem und oberflächlichem Denken verführt..." 1964 wurde der kritische Denker aus Universität und Partei ausgeschlossen. Er musste von einer Ehrenpension als Verfolgter des Naziregimes und von Buchveröffentlichungen in der Bundesrepublik leben. Nach der Wende lehnte ein Gericht eine Entschädigung an Havemanns Familie für die Einbußen nach dessen Entlassung ab.
Neben verschärftem Hausarrest musste Havemann 1979 auch die Durchsuchung seiner Wohnung und die Beschlagnahme von Teilen seiner Unterlagen hinnehmen. In etlichen Schriften hatte sich der überzeugte Kommunist für eine Erneuerung des Sozialismus eingesetzt. Schikanen gab es noch nach seinem Tod: Zu Havemanns Beisetzung durften dessen in den Westen ausgereisten Freunde wie Jürgen Fuchs, Sarah Kirsch und Biermann nicht kommen. Havemanns parteiloser Sohn Florian, ein 50-jähriger brandenburgischer Verfassungsrichter, will nun über die sächsische Landesliste der SED-Nachfolgepartei PDS in den Bundestag ziehen.