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Fünf Parteien sollen geteiltes Land regieren. | Minimalkompromiss, Staatsreform verschoben. | Flämischer Christdemokrat Yves Leterme wird Premier. | Brüssel. Gut neun Monate nach den Parlamentswahlen letzten Juni bekommt Belgien endlich eine neue Regierung. Den Weg für den damaligen Wahlsieger Yves Leterme von den flämischen Christdemokraten Cd&V hat eine Übergangsregierung unter dem eigentlich schon damals abgewählten Premier Guy Verhofstadt von der liberalen Partei Flanderns (VLD) frei gemacht.
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In mehr als 20 Stunden Verhandlungen konnte Leterme in der Nacht auf Dienstag schließlich seine Fünf-Parteien-Koalition auf eine Regierungserklärung einschwören. Künftig sollen die Cd&V, deren wallonische Schwesterpartei CdH, die VLD und deren frankophones Pendant Mouvement Réformateur (MR) sowie die Sozialistische Partei (PS) Walloniens gemeinsam den Staat lenken. Eine Premiere ist dabei, dass mit der PS erstmals nur eine Partei einer politischen Familie an der Regierung beteiligt ist.
Die flämischen Sozialisten, die bei den Wahlen für die Korruptionsskandale der wallonischen Schwesterpartei abgestraft wurden, bleiben draußen. MR-Chef und Wahlsieger im Süden, Didier Reynders, hatte in seiner Wahlkampagne massiv die Korruptionskarte gespielt und eine Beteiligung der PS lange unwahrscheinlich scheinen lassen.
Jetzt hat die neue Koalition mit 101 Sitzen knapp die Zweidrittelmehrheit in der 150-köpfigen Parlamentskammer. Damit könnte sie theoretisch auch die von Leterme im Wahlkampf versprochene Staatsreform beschließen. Doch der hat äußerst schwierige Regierungsarbeit vor sich. Denn seine Versuche zur Bildung einer Koalition scheiterten just an seinen Reformplänen. Die zielen darauf ab, den Regionen mehr Macht zu geben. Dahinter steckt die Reduzierung der auf etwa sieben Milliarden Euro pro Jahr geschätzten Transferleistungen aus dem wirtschaftlich starken Norden in die Wallonie, die sich vom Niedergang von Schwerindustrie und Bergbau noch nicht erholt hat.
Das ist aber keineswegs im Interesse der wallonischen Parteien in der Koalition, wie auch Joelle Milquet, die Vorsitzende von Letermes Partnerpartei CdH, klargemacht hat. So einigten sich die Koalitionspartner in ihrer rund 40 Seiten starken Regierungserklärung darauf, die brisantesten Fragen aufzuschieben. Dazu gehört neben dem Kern der Staatsreform auch der ursprünglich beschlossene Atomausstieg, gegen den der Ex-Energiemonopolist Electrabel scheinbar massiv lobbyiert. Bis Mitte Juli soll eine Lösung gefunden werden. Ins Auge gefasst wurden immerhin eine gemeinsame Arbeitsmarkt- und Einwanderungspolitik sowie etwa die Halbierung der Verkehrstoten auf 500 pro Jahr bis 2015.
Vertrauen verspielt
Mehr als diesen Minimalkonsens konnte auch Verhofstadt nicht auf den Weg bringen. Und Leterme hat seit seinem sensationellen Wahlerfolg mit 800.000 Vorzugsstimmen nach zwei gescheiterten Regierungsbildungsversuchen viel Vertrauen verspielt. 92 Prozent der Wallonen und sogar 54 Prozent der Flamen misstrauen ihm laut aktuellen Meinungsumfragen. Das dürfte auch an einigen Ungeschicklichkeiten liegen, die sich der Flame seither geleistet hat. Besonderes Aufsehen erregte etwa, als er am belgischen Nationalfeiertag im Fernsehen die französische statt der eigenen Hymne anstimmte.