Staatssekretäre bekamen ein zu hohes Gehalt. Das Kanzleramt rechtfertigt das mit einer "gängigen Staatspraxis". Doch was soll das überhaupt sein?
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Es war der kleine Aufreger eines - innenpolitisch gesehen - ereignisarmen Wochenendes: In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung gab Bundeskanzler Karl Nehammer an, dass alle vier derzeit tätigen Staatssekretäre vom Tag ihrer Angelobung an ein Gehalt von 16.300,70 Euro bekommen haben, obwohl ihnen zu Beginn etwas weniger, nämlich 14.489,60 Euro, zugestanden wäre. Seit 1997 sollten Staatssekretäre das höhere Gehalt erst erhalten, wenn sie die dafür vorgesehene Bereichsverantwortung formal übertragen bekommen haben. Florian Tursky (Digitalisierung) und Susanne Kraus-Winkler (Tourismus) haben die höheren Bezüge aber 68 Tage lang bekommen, weil es erst eine Gesetzesänderung benötigte, um ihnen ihre Aufgaben geben zu können. Begründet wurden die Mehrkosten von rund 12.000 Euro mit der "langjährigen Staatspraxis". Das Gesetz sei so "nie eingehalten" worden, zitierte die "ZiB 2" das Bundeskanzleramt am Sonntag.
Staatspraxis als Routine der Verwaltung
Was ist nun diese Staatspraxis, auf die sich das Bundeskanzleramt beruft? Und lässt sich damit wirklich rechtfertigen, wenn staatliche Institutionen anders handeln als im Gesetz vorgesehen? In den Archiven des Parlaments kommt das Wort zum ersten Mal 1979 mit Bezug zum Wahlrecht vor. 1982 in einer Diskussion über die Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten noch einmal.
"Ich bin mit dem Begriff nicht sonderlich zufrieden", sagt der langjährige Chef der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt, Manfred Matzka, zur "Wiener Zeitung". Er würde es lieber Verwaltungspraxis nennen, das sei nicht so hochtrabend. Denn im Grunde ist darunter nichts anderes zu verstehen als das übliche Vorgehen in einer Behörde. Im Parlament verwendet man eher das Wort Usance.
Man dürfe sich vom Wort Staatspraxis nicht einschüchtern lassen, meint auch Franz Merli, Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Sie sei zwar für das Funktionieren der Verwaltung wichtig, weil "alle Organisationen von Routinen leben", wie Merli betont, "es ist aber kein klar umrissener Begriff". Und weiter: "Staatspraxis ist ein Verwirrwort, es beschreibt nur Routinen, die für sich genommen nichts bedeuten", meint er. Aber, so Merli, solche Routinen können auch "indirekt normative Bedeutung gewinnen". Vor allem dort, wo das Gesetz interpretiert werden muss. "Wenn man Dinge immer auf die eine Art behandelt, braucht es schon einen guten Grund für ein anderes Verhalten", sagt Merli. Die gelebte Praxis kann hier mit Bezug zum rechtlichen Grundsatz der Gleichheit wichtig werden. Für Matzka ist es deshalb sinnvoll, wenn Behörden in diesen Fällen "eine Linie festlegen und an ihr festhalten, um Einigkeit zu wahren".
"Im Völkerrecht ist Staatspraxis sogar eine Rechtsquelle"
International gibt es unterschiedliche Arten, mit der Praxis umzugehen, erklärt Merli. Im Vereinigten Königreich gibt es keine kodifizierte Verfassung, dort werde viel über den informellen Weg geregelt, dort sei die Bedeutung einer Staatspraxis deutlich wichtiger, teilweise sogar rechtlich bindend.
Auch im Völkerrecht hat der übliche Umgang eines Staates einen höheren Stellenwert: "Völkerrechtlich ist Staatspraxis sogar eine Rechtsquelle", erklärt Merli im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Kein Ersatz für gesetzliche Vorgaben
Staatspraxis, Verwaltungspraxis, Usance oder einfach Routine: Egal wie man es nennen will, es kann keine Rechtfertigung dafür sein, wenn sich der Staat nicht an gesetzliche Vorgaben hält. "Die Vollziehung ist immer an Gesetze gebunden", sagt Matzka. Und auch Merli hebt hervor, dass der Staat "immer im Rahmen der Gesetze" agieren müsse. Ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit sei deshalb auch nie mit einem Verweis auf eine gängige Praxis zu erklären.
Merli fallen zu dem Thema auch ganz andere Beispiele ein, bei denen man von Staatspraxis sprechen könnte: "Postenschacher ist auch Staatspraxis, nur beruft sich hier niemand darauf", meint der Universitätsprofessor, der auf Medienberichte über Postenbesetzungen von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in der Landesverteidigungsakademie und beim Truppenübungsplatz Allentsteig hinweist.
Im Fall der Staatssekretär-Bezüge zeigt Matzka Verständnis. Normalerweise gehe es bei Staatssekretären um wenige Tage, bis der Akt abgeschlossen und sie ihr Aufgabengebiet hätten. "Im Gesetz selber steht nicht, ab wann ausgezahlt werden darf, deshalb hat das zuständige Bundeskanzleramt hier eine Praxis festgelegt." Man habe einfach so entschieden, wie es in den Akten davor immer entschieden worden sei, ist sich Matzka sicher. Einen Fall wie den aktuellen habe es seiner Erinnerung nach auch noch nie gegeben, bei dem Staatssekretäre Themengebiete bekommen sollen, die in der Zuständigkeit anderer Ministerien liegen. Es sei nachvollziehbar, dass man hier auf die Verwaltungspraxis zurückgegriffen habe, auch wenn es in diesem Fall ein Fehler war. Aber ein Fehler, der behoben werden kann.