Rechtsnationalisten hatten bereits Hinrichtungsliste. | Affäre flog wegen Erpressungsversuch auf. | Istanbul. (apa) An alles war gedacht. Dossiers über führende Politiker wurden angelegt, Waffen und Sprengstoff wurden gesammelt, sogar der Platz für Hinrichtungen war schon ausgesucht. Rechtsnationalistische Mitglieder der türkischen Sicherheitskräfte haben eine illegale Gruppe unter dem Namen "Organisation des nationalen Widerstandes" gebildet, um gegen die gewählte Regierung vorzugehen.
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Der Plan flog auf, als die Gruppe die Besitzerin eines Massage-Salons in Ankara unter Druck setzen wollte und die Frau zur Polizei ging. Bei der "Sauna-Bande", wie die Gruppe von der Presse getauft wurde, gehe es nicht um gewöhnliche Kriminelle, warnte eine Zeitung diese Woche ihre Leser: Es gehe um einen Putschversuch. Der "tiefe Staat", wie die Türken die illegale Parallelstrukturen im Staatsapparat nennen, "ist eine Gefahr für die Demokratie".
Dass es der "Sauna-Bande" nicht nur ums Geld ging, zeigen die vielen Einzelheiten, die aus den Ermittlungen an die Öffentlichkeit dringen. So wurden bei den inzwischen zwölf verhafteten Vedächtigen zahlreiche CDs mit Beweismaterial gefunden. Auf einigen gibt der zu den Köpfen der Bande gerechnete Armee-Hauptmann Nuri Bozkir, Mitglied einer Armee-Spezialtruppe, Unterricht in "unkonventioneller Kriegführung": Guerilla-Taktiken und Sabotage standen auf dem Programm.
Rückendeckung von oben?
Andere CDs enthalten Informationen über Brücken, Autobahnen, Zugstrecken, Tunnel und andere strategisch wichtige Einrichtungen. Auch Informationen über Abgeordnete und Minister wurden gefunden, versehen mit dem Satz: "Diese Regierung muss weg." In Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft sagten Bandenmitglieder zudem aus, einen verlassenen Tunnelbau im Nordwesten der Türkei als Platz für Hinrichtungen ausgesucht zu haben. Eine "Hinrichtungs-Liste" soll ebenfalls existieren.
Parallelen zur Susurluk-Affäre
Ob die Mitglieder der "Organisation des Nationalen Widerstandes" Rückendeckung von Führungsleuten im Militär, im Geheimdienst oder in der Polizei hatten, und ob sie mit ihren Aktivitäten bis zum Staatsstreich gehen wollten, ist bisher unklar. Neben dem verhafteten Armee-Hauptmann Bozkir gelten der frühere Vize-Polizeichef der Türkei, Ertugrul Cakir, sowie ein Mafioso namens Kasim Zengin als die Hauptverdächtigen. Sie gaben sich im Massaga-Salon "Geysan" von Zeliha Tüfekci in Ankara als offizielle Staatsvertreter aus und versuchten, Geld zu erpressen. Tüfekci ging zur Staatsanwaltschaft, die nach mehrmonatigen Geheimermittlungen Mitte Februar zuschlug und die Bandenmitglieder festnehmen ließ.
Mitglieder der Sicherheitskräfte, die im Namen der "Nation" das Recht in die eigene Hand nehmen - in der Türkei weckt dies Erinnerungen an den so genannten Susurluk-Skandal. In dem westtürkischen Ort Susurluk verunglückten 1996 ein Mafioso, ein hoher Polizeioffizier und ein Parlamentsabgeordneter, als sie zusammen in einem Auto unterwegs waren. Der Unfall brachte die Verbindungen zwischen Staatsmacht und Unterwelt ans Tageslicht. Damals ging es den selbst ernannten Rettern des Vaterlandes darum, mit Hilfe der Mafia gewaltsam gegen mutmaßliche oder tatsächliche Anhänger der Kurdengruppe PKK vorzugehen. Der Skandal wurde nie richtig aufgearbeitet, offenbar um die Hintermänner der Susurluk-Bande im "tiefen Staat" zu schützen.
Dieses Versagen des Staates habe dazu beigetragen, dass kriminelle Gruppen wie die "Sauna-Bande" auch heute noch entstehen können, meint der Oppositionspolitiker Ahmet Ersin. Erst vor wenigen Monaten waren im südosttürkischen Semdinli türkische Soldaten bei einem Bombenanschlag auf das Geschäft eines mutmaßlichen PKK-Anhängers erwischt worden.
So lange Gruppen von Teilen des Staatsapparates unterstützt würden, so lange werde es ähnliche Dinge auch in Zukunft geben, ist der Ex-Geheimdienstler Bülent Orakoglu überzeugt. Nur ein Gegenmittel gebe es: "Die Transparenz des Staates."
Obwohl die meisten Türken skeptisch sind, ob dieses Ziel erreichbar ist, gibt es doch inzwischen einen Hoffnungsschimmer. In die Ermittlungen der zivilen Staatsanwaltschaft wegen der "Sauna-Bande" haben sich inzwischen auch die Militärs eingeschaltet. Generalstabschef Hilmi Özkök befahl, die Nachforschungen sollten "bis zum Ende" vorangetrieben werden - will heißen: Es soll nichts vertuscht werden.