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"Stabilisierung ist nicht per se gut"

Von Anja Stegmaier

Politik

Die ägyptische Politologin Rabab El-Mahdi darüber, was vom Protest 2011 geblieben ist, soziale Ungerechtigkeit und die Macht des Militärs.


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"Wiener Zeitung": Ägypten war eines der Zentren des Arabischen Frühlings 2011. Was ist von den Forderungen der Revolution übergeblieben?

Rabab El-Mahdi: Auf der Ebene des politischen Regimes hat sich natürlich rein gar nichts geändert - es ist sogar schlimmer geworden. Aber der Geist der Revolution ist nach wie vor da. Vor allem das Verständnis der jungen Generation, wie ein Land sein sollte hat sich verändert. Historisch gesehen haben sich Gesellschaften immer verändert. Es gibt natürlich Rückschläge. Aber lässt man einmal den Geist aus der Flasche, lässt er sich nicht mehr einfangen.

Die Veränderung findet statt, braucht aber Geduld?

Absolut. Wenn wir uns die Geschichte der Welt anschauen, etwa jene Europas: Wie viele Revolutionen hat es für diese Entwicklung gebraucht? Denken wir an die Französische Revolution und an 1848. Und dann wiederum an die Zeit des Faschismus - man hätte damals denken können: Das wird hier nie was. Aber Veränderung braucht Zeit - besonders diese Art der monumentalen Veränderung. Das geht nicht mit einem Regime-Wechsel allein, von einem Präsidenten zum anderen.

Gibt es immer noch Protest, der sich organisiert?

Nein, es gibt keinen Protest in irgendeiner Form. Das Level der Repressionen und der Preis für Protest sind einfach viel zu hoch. Die Menschen sind auch müde - sie haben von 2011 bis 2013 protestiert - und es kam nicht viel dabei heraus. Die Leute sind auch erschöpft und demotiviert.

Der Protest 2011 hatte verschiedene Motivationsgründe. Die Jugend hadert nach wie vor mit hoher Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Welche Rolle spielt das heute?

Es ist zu kurz gedacht, zu sagen: Die Leute sind arbeitslos, deswegen protestieren sie. In Ägypten gingen damals auch viele Leute der Mittelklasse, die angestellt waren und ein relativ angenehmes Leben führen konnten, auf die Straße. Es geht um viel mehr als die wirtschaftliche Situation. Die Slogans der Revolution waren: Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit. An all diesen drei Fronten wurde nichts erreicht. Wirtschaftlich gesehen, hat sich die Situation noch verschlimmert: Die Entwertung der Währung, der neue Kredit des Internationalen Währungsfonds IWF, um uns über Wasser halten zu können - wir haben aktuell eine monatliche Inflationsrate von 32 Prozent!

Was hat zu dieser Situation geführt?

Das Sozialsystem mit universeller Gesundheitsversorgungund Bildung hat Jahrzehnte versagt - es wurde kein Geld investiert. Die Regierung hat in den 1970ern einen liberalen Kurs eingeschlagen. In den 90er und 00er Jahren wurde dieser Weg fortgesetzt. Das hat das Leben der Menschen stark beeinflusst - soziale Mobilität, Bildung, Arbeitsplätze und Gesundheit haben sich verschlechtert. Ungleichheit ist ein sich selbst perpetuierender Kreis: Fällst du einmal in die Armut, ist es nahezu unmöglich, wieder herauszukommen. Immer mehr Leute sind auf der Strecke geblieben. Diverse Regierungen waren nur daran interessiert, das BIP-Wachstum zu erhöhen. Aber der Reichtum konzentrierte sich in der oberen Gesellschaftsschicht. Der Glaube, dass ein Teil des Reichtums der Oberen nach unten sickert, ging nicht auf. Es kam unten nichts an. Selbst der IWF gibt das zu.

Was braucht es, um das Land zu stabilisieren?

Stabilisierung ist nicht per se gut. Hosni Mubarak galt jahrzehntelang als Garant für Stabilität. Eine korrupte und verdorbene Situation zu stabilisieren kann aber in niemandes Interesse sein. Wir sollten uns weniger um die Stabilisierung sorgen als um Reformen. Wie können wir diese Situation dahin ändern, dass es weniger Unterdrückung und bessere Chancen für die Menschen gibt, ein würdiges Leben zu führen? Da ist es zunächst notwendig, dass das Regime die Lektionen der jüngsten Vergangenheit lernt. Die internationale Gemeinschaft muss sich auch lautstark dazu äußern. Aber am Ende des Tages muss die Veränderung von innen kommen. Die ultimative Verantwortung liegt bei uns.

Ist das denn überhaupt mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi möglich?

Es ist wohl höchst unwahrscheinlich, weil das Regime ziemlich entschlossen ist. Aber einige Elemente des Regimes haben sich geöffnet, ebenso wie Elemente der Gesellschaft immer weiter werden. Ich bin vorsichtig optimistisch. Wie gesagt, der Geist ist aus der Flasche, auch wenn er schlummert. Und weil sich die Situation auf so vielen Ebenen verschlechtert hat. Es kann von hier aus eigentlich nur noch besser werden. Wir haben den Tiefpunkt erreicht.

Organisiert sich in irgendeiner Art eine echte Opposition?

Die Glut der Veränderung schwelt noch. Die politische Opposition ist nahezu unsichtbar. Es gibt keine starken Parteien. Aber es gibt junge Künstlervereinigungen, Studentenverbindungen. Es gibt durchaus Diskussionen in der öffentlichen Sphäre. Das mündet jetzt oder im nächsten Jahr nicht in eine organisierte Gegenbewegung, aber das kann der Ausgangspunkt für eine echte Opposition in den nächsten vier Jahren sein.

Das Militär ist sehr mächtig- wie wird sich das weiter entwickeln?

Es wird weiter diese sehr mächtige und privilegierte Stellung haben. Das hat mit der Geschichte zu tun - die Militärs waren in der postkolonialen Gesellschaft die Gründungsväter des Staates. Letztlich müssen wir aber die Grenzen klären, innerhalb derer das Militär agieren darf, politisch wie wirtschaftlich.

Der politische Einfluss liegt auf der Hand - erklären Sie bitte den wirtschaftlichen Einfluss.

Das Militär ist einer der größten Auftragnehmer des Staates. Sie betreiben Supermarktketten, bauen Straßen und Brücken - sie bauen die diversen Anlagen nicht nur, sie betreiben sie auch. Sie suchen sich große Projekte heraus, einige Bereiche kontrollieren sie sogar zur Gänze. Alle Minen etwa sind in Militärhand. Aus der Marktperspektive ist das schädlich, da sie günstiger produzieren durch Steuervorteile etwa. Das ist für Mitbewerber am Markt unfair. Das hat sich unter al-Sisi verschlimmert.

In Europa und Österreich gibt es Stimmen, die das Flüchtlingsproblem gerne in Nordafrika lösen würden. Was halten sie davon?

Aus menschlicher Sicht denke ich: Alle Länder, die die Möglichkeit haben, Flüchtlinge aufzunehmen, sollten das tun. Wir alle könnten einmal in der Lage kommen, auf der Flucht zu sein. Historisch haben die Länder Europas selbst Menschen zu Flüchtlingen gemacht. Man könnte meinen, nach der Erfahrung von zwei Weltkriegen und Flüchtlingskrisen, wäre man da sensibilisiert. Aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Die Idee, jemanden dafür zu bezahlen, dass er sich darum kümmert, ist zudem rassistisch und erniedrigend.

Auf der anderen Seite die Frage der Erpressbarkeit . . .

Dieses Vorgehen ist sehr kurzsichtig. Ja, einer der Gründe, warum das aktuelle Regime in Ägypten mit der Unterdrückung und der Missachtung von Menschenrechten davonkommt, ist, weil es als Torwächter gegen den IS und die Flüchtlinge fungiert. Das funktioniert aber nicht, das Problem sind doch die autoritären Regime. Bashar al-Assad, ein verrückter Diktator, tötet seine eigenen Leute und zerstört alles - weil er an der Macht bleiben will. Wäre Assad früher zurückgetreten und hätte es einen organisierten Übergang gegeben, hätten wir nicht diese syrische Krise erlebt.

Wie groß ist die Gefahr, dass junge Menschen sich radikalisieren?

Radikalisierung ist ein Problem. Die Revolution 2011 war eine Möglichkeit, Frustration zu kanalisieren, um etwas Neues zu entwickeln. Wenn diese Türen verschlossen werden, löst sich diese Energie nicht auf. Einiges rekanalisiert sich in Militanz und Radikalisierung bis hin zu gesellschaftlicher Zerstörung.

2018 stehen in Ägypten Präsidentschaftswahlen an - was erwarten Sie sich davon?

Es gibt kaum Wahlen, die leichter vorauszusagen wären als diese: Natürlich wird al-Sisi gewinnen und zwar hoch. Und es wird keine Wahlfälschung sein - es gibt einfach keinen echten Wettbewerb. Ich bezweifle aber, dass viele Bürger zur Wahl gehen werden. Es ist beschlossene Sache und die Leute wissen das.