Serbien hat gewählt: Aleksandar Vucic tauscht das Amt des Premiers gegen das des Präsidenten. Gratulanten sehen Vucic als Anker der Stabilität im Westbalkanland - Kritiker fürchten die weitere Aushöhlung der Demokratie.
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Belgrad/Wien. Blasmusik und Champagner. Die Anhänger Aleksandar Vucics applaudieren und jubeln, als der Premierminister Serbiens am Sonntagabend vor die Presse tritt. Der Vorsitzende der Fortschrittspartei, die die absolute Mehrheit im Parlament stellt, konnte die Wahl zum Präsidenten mit rund 55 Prozent der Stimmen klar für sich entscheiden. Das ist keine Überraschung - weder für Vucic noch die Beobachter. Bereits vor den Wahlen wurde dem 47-Jährigen ein Sieg im ersten Wahldurchgang mit 50 bis 60 Prozent vorausgesagt.
Von den zehn weiteren Kandidaten, die mit ihm um das höchste Amt im Staat wetteiferten, erzielten nur drei nennenswerte Ergebnisse. Der ehemalige Volksanwalt für Menschenrechte, Sasa Jankovic, erlangte rund 16 Prozent der Stimmen, der Satiriker und Lokal-Politiker Luka Maksimovic erreichte mit seinem Alter Ego Ljubisa Preletacevic - Beli ("der Weiße") kaum zehn Prozent. Für den Ex-Außenminister und nationalistischen Populisten Vuk Jeremic stimmten keine sechs Prozent der Wähler. Aleksandar Vucic hat damit geschafft, was vor ihm zuletzt nur Slobodan Milosevic hinlegen konnte. Die serbische Schlüsselfigur der Jugoslawienkriege entschied 1992 den ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gegen Milan Panic deutlich für sich.
Der Mythos der Stabilität
Internationale Gratulanten fanden sich kurz nach der Verkündigung des Wahlsieges auch in Österreich. Außenminister Sebastian Kurz und Bundeskanzler Christian Kern sendeten die besten Wünsche via Twitter. "Stabiler Balkan und prosperierendes Serbien ist im Interesse Europas und Österreichs", zwitscherte Kern. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn reihte sich ein - mahnte Vucic aber zu Verantwortung.
Vor wie nach den Wahlen scheint Vucic der alternativlose Anker der Stabilität für Serbien und die gesamte Region zu sein. Die EU und die USA fürchten den wachsenden Einfluss Russlands und Chinas am Westbalkan. Es braucht also einen starken Mann vor Ort. "Die Angst vor geopolitischen Spannungen ist Ablenkungspolitik", sagt der Politologe Florian Bieber. Der Direktor des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz hat als Co-Autor der Studie "The Crisis of Democracy in the Western Balkans. Authoritarianism and EU Stabilitocracy" den Zustand der Demokratie in den letzten zehn Jahren am Westbalkan untersucht. Fazit: Die Demokratie hat schwerwiegende Rückschritte gemacht. Besonders in Sachen Meinungsfreiheit und Medienvielfalt. Auch in Serbien herrsche eine "Stabilitokratie", also ein Herrschaftssystem, in dem der Stabilität mehr Bedeutung beigemessen wird, als der Demokratie. "Das schafft vielleicht kurzfristig Stabilität, aber langfristig Instabilität", so Bieber. Man müsse sehen, dass die Stabilitätsbedrohung von Autokraten ausgeht.
Obwohl sich Vucic als glühender Pro-Europäer gibt, sieht der Politologe langfristig den EU-Beitritt Serbiens gefährdet. "Stabilitokratien sind eher bereit, mit Autokraten zusammenzuarbeiten, mit ethnischen Konflikten zu spielen und die EU aufzugeben, weil sie die EU nur als strategisches Ziel ansehen und sich nicht aus Überzeugung daran orientieren." Die Aushöhlung der Demokratie und das langsame Absterben des EU-Integrationsprozesses sind für Bieber langfristige Gefahren für die Stabilität Serbiens - die von der EU nur wenig infrage gestellt werden.
Mächtige Doppelrolle
Der pro-europäische rhetorische Stil Vucics habe bereits abgenommen, beobachtet Bieber, weil die Attraktivität eines Beitritts in den vergangenen Jahren abgenommen habe. Vucic betone indessen vermehrt die guten Beziehungen zu Russland und China. Diese Doppelrolle zu spielen - pro-russisch als auch pro-europäisch - sichere Vucic eine starke Machtbasis, so der Politologe.
Die externe Kritik an dem Machtmenschen war bisher eingeschränkt. Der Ministerpräsident war kompromissbereit in Sachen Dialog mit dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina. "Er erschafft das Bild sehr geschickt und er bewahrt die Stabilität vor der Unsicherheit, die er selbst hervorruft", erklärt der Balkanexperte das Phänomen. Das beste Beispiel hierfür liefert der Eklat um den Zug, der nach 20 Jahren erstmals von Belgrad in den Kosovo geschickt werden sollte. Dieser war mit Schriftzügen in diversen Sprachen mit der Aussage "Kosovo ist Serbien" foliert. Laut Bieber habe Vucic den Zug von Belgrad losgeschickt - um ihn dann kurz vor der Grenze doch noch zu stoppen. Vucic schaffe Krisen, um sie zu lösen, so der Politologe.
Loyaler Nachfolger gesucht
Was kann man sich also in Serbien von dem neuen Präsidenten erwarten? Die Wahl ändert laut Bieber grundsätzlich nichts an der Regierung. Durch den Wechsel in das Präsidentenamt könne man höchstens davon ausgehen, dass international mehr kritische Stimmen laut werden als im bisherigen System, in dem die Machtposition des Premiers noch nicht so offensichtlich ausgeprägt war.
In zwei Monaten wird Vucic als vereidigter Präsident seinen Premier ernennen. Bisher wurden noch keine Namen genannt. Innenminister Nebojsa Stefanovic scheint für Bieber aber logischer Nachfolger Vucics. Dieser sei "Jung, unambitioniert, ohne eigenständiges Profil und parteiloyal", sagt Bieber. "Aber eigentlich ist es auch fast egal, wer es wird", so der Balkanexperte. In Serbien sei niemand je so dominant und so kontrollierend gewesen wie Vucic. Bisher gab es aber keine eindeutigen Bemühungen, wie etwa in der Türkei, die Verfassung zu ändern.
"In Serbien wird Macht sehr stark informell ausgeübt", so Bieber. Dementsprechend braucht Vucic nicht die formalen Machtkompetenzen des Präsidenten, um so einflussreich zu sein, wie er ist. Er kann auf die Kontrolle über die Partei zurückgreifen und damit quasi durchregieren.
Studie: The Crisis of Democracy in the Western Balkans. Authoritarianism and EU Stabilitocracy