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Stabilitätspakt: "Stupide" oder "essenziell, strikt einzuhalten"?

Von Helmut Dité

Wirtschaft

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Der Stabilitätspakt ist alles andere, als es sein Name verspricht. In der lahmenden Konjunktur hat sich die Vereinbarung, die 1996 der Gemeinschaftswährung Euro als Unterpfand mitgegeben wurde, zuletzt als reichlich instabil erwiesen. Dazu trugen maßgeblich Frankreich und Deutschland mit ihrer Haushaltspolitik bei. Nun versetzte auch noch EU-Kommissionspräsident Romano Prodi dem Pakt einen schweren Schlag, indem er "aussprach, was alle insgeheim denken"- so ein Komentar einen Wirtschaftswissenaschafters: "Ich weiß sehr wohl, dass der Stabilitätspakt dumm ist, wie alle starren Entscheidungen." Seither reißt die Debatte nicht ab - auch die Prodi-Kritiker haben gewichtige Argumente.

Hintergrund für Prodis Vorstoß: Das starre Festhalten an dem 3%-Defizitkriterium engt den Handlungsspielraum der Nationalstaaten für wachstumsfördernde Maßnahmen enorm ein. Hinter den Kulissen arbeitete die Brüsseler Behörde in den vergangenen Wochen offenbar intensiv an einer Exit-Strategie aus den Fesseln des Paktes. In einer höchst ungewöhnlichen Vorgangsweise wurde vor knapp drei Wochen ein Vorschlag der Öffentlichkeit zugespielt, den Zeitrahmen für das Erreichen eines nahezu ausgeglichenen Haushalts von 2004 auf 2006 auszudehnen. Da die Jahreszahl nicht im Stabilitätspakt (sehr wohl aber in anderen EU-Beschlüssen) steht, und die Kommission zugleich ihr unbedingtes Festhalten an der 3%-Marke beschwor, konnte man argumentieren, den Pakt nicht zu lockern, sondern nur flexibler gestalten zu wollen.

Die EU-Kommission, namentlich Währungskommissar Pedro Solbes, zog damit den Zorn jener Staaten auf sich, die sich diszipliniert um das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts 2004 bemüht hatten. Doch es waren vorwiegend kleine Staaten, darunter Österreich, die sich in Haushaltsdisziplin geübt hatten, und auch in der EU gilt offenbar manchmal: Alle sind gleich, aber einige sind gleicher. Ungerührt von allen Vorhaltungen erklärte etwa der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Francis Mer: "Wir haben jetzt andere Prioritäten". "Elf gegen eins", wurde das Verhalten Frankreichs in der Eurogruppe kommentiert, und von einer Isolation Paris' war zunächst die Rede. Damit ist es vorbei, seit auch der deutsche Finanzminister Hans Eichel öffentlich eingestand, was längst vermutet worden war: Deutschland wird 2001 über der 3%-Marke liegen und ebenfalls den Stabilitätspakt verletzen. Für Portugal steht der Verstoß gegen den Stabilitätspakt ohnehin bereits fest, auch Italien gilt als Risikopatient. Im Gegensatz zu Mer gab sich Eichel zwar zerknirscht und gelobte baldige Besserung. Prodi aber wird die Botschaft verstanden haben: Es sind letztlich die Großen, die das Spiel in der Union bestimmen.

Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag abermals und in ungewöhnlich scharfer Form die strikte Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts gefordert. "Die Ergebnisse der Fiskalpolitik in einigen Ländern sind sehr enttäuschend", teilte die EZB nach der Ratssitzung in Frankfurt mit. Doch die Probleme mit der Haushaltskonsolidierung seien keine Folge zu unflexibler Regeln des Paktes, sondern der mangelnden Bereitschaft einiger Länder, ihre Versprechen einzuhalten. Der Stabilitätspakt unterstütze das Ziel stabiler Preise in der Euro-Zone und stärke das Vertrauen in die Wirtschaftsaussichten der Euro-Zone.

Die Einhaltung der Euro-Stabilitätskriterien ist auch nach Worten von Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein "essenziell für den Standort Europa". Der Pakt biete "Flexibilität genug" und sei deshalb "strikt einzuhalten". "Entsolidarisierungsbestrebungen gerade großer Mitgliedsstaaten sind daher nicht nur unfair, sondern schaden der gemeinsamen Währung und damit dem Standort Europa", warnte der Wirtschaftsminister beim Europaforum Luzern. Die gegenwärtig schlechte Wirtschaftslage Deutschlands, die auch durch massive Rückfälle in internationalen Standortratings sichtbar werde, wirke sich, so fürchtet Bartenstein, "negativ auf die Union als Ganzes aus", zumal auf Deutschland 25% des EU-Bruttoinlandsprodukts und der EU-Exporte entfallen.

"Völlig inakzeptabel" sind für Finanzminister Karl-Heinz Grasser die Aussagen Prodis. Ein Kommissionspräsident habe den Vertrag umzusetzen und ihn nicht als dumm zu bezeichnen, so Grasser am Donnerstag. Er erwarte von Prodi auch eine Erklärung dafür, warum er den Pakt noch zwei Wochen zuvor unterstützt habe. Eine Neuverhandlung des Paktes lehnt er strikt ab: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sei nun das erste Mal am Prüfstand, und es wäre "gefährlich", schon bei der erstmaligen Prüfung zu sagen, "wir schaffen's nicht und daher müssen wir's aufweichen", so Grasser.

Der absehbare Verstoß Deutschlands gegen die europäische Defizit-Obergrenze von 3% wird von den meisten Volkswirten aber noch nicht als dramatisch für den Euro gewertet. Voraussetzung sei aber, dass die Berliner Regierung nicht von ihrem Konsolidierungskurs abkomme. "Der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt ist nicht tot, aber gefährdet". Nun sei entscheidend, dass die deutsche Regierung bei realistischen Wachstums- und Haushaltszielen bleibe. Und eindringlich warnen die Experten auch vor dem Versuch, die Europäische Zentralbank unter Druck zu setzen, die Zinsen zu senken oder die Geldmaschine anzuwerfen, um die hohen Defizite zu finanzieren. "Nur wenn die EZB der Fels in der Brandung bleibt, dann kommt der Euro glimpflich davon".