Nach Attentat vom Dienstag weniger Teilnehmer als vor einem Jahr. | Regierung Siniora will nicht von Forderung nach Tribunal abweichen. | Beirut. Zehntausende Libanesen sind am Mittwoch zum Grab von Expremierminister Rafik Hariri geströmt, um des vor zwei Jahren ermordeten Expremierministers zu gedenken. Schon in den frühen Morgenstunden brachen Anhänger von Hariris Sohn Saad Hariri, Premierminister Fouad Siniora und deren christlichen und drusischen Verbündeten aus allen Teilen des Landes nach der Hauptstadt Beirut auf, um an der Großkundgebung auf dem zentral gelegenen Märtyrerplatz teilzunehmen. Ein riesiges Sicherheitsaufgebot aus Polizei und Armee riegelte ganze Stadtviertel ab.
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Eine internationale Ermittlungskommission der Vereinten Nationen ist seit Frühjahr 2005 damit beschäftigt, den Mord an Hariri und mehr als ein Dutzend weitere Anschläge aufzuklären. In Zwischenberichten hatte die UNO-Kommission syrische Sicherheitskreise und ihre libanesischen Alliierten für das Attentat verantwortlich gemacht. Die Massenproteste nach Hariris Tod hatten im April 2005 nach fast drei Jahrzehnten Präsenz zum Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon geführt.
Angst nach Anschlägen
Ein Bombenanschlag nördlich von Beirut am Dienstag sorgte dafür, dass weitaus weniger Menschen auf dem Märtyrerplatz zusammenkamen als noch vor einem Jahr. Das Ziel der bislang unbekannten Täter, die Regierungsanhänger einzuschüchtern, ging somit auf.
Für Anspannung sorgte außerdem die Tatsache, dass das Gelände rund um Hariris Grab direkt an das Protestcamp der Opposition angrenzt, die seit Anfang Dezember den Sturz der Regierung Sinioras fordern. Ein etwa zehn Meter breiter Korridor, an beiden Seiten abgeschirmt durch Stacheldraht und Metallzäune, trennte die rivalisierenden Parteien.
Die Opposition rund um die von Generalsekretär Hassan Nasrallah geführte Hisbollah und den Ex-Oberbefehlshaber der Armee, Michel Aoun, von der Freien Patriotischen Bewegung (FPM) fordert eine Änderung des Status des von der Regierung geforderten internationale Tribunals zur Aufklärung des Mordes an Hariri. In seiner jetzigen Fassung werde die libanesische Souveränität unterhöhlt.
Doch trotz aller Einheitsrhetorik machten die Spitzen des Regierungsbündnisses deutlich, dass sie von dem Tribunal nicht abrücken wollen. "Wir bestehen auf dem internationalen Tribunal trotz aller Versuche, die Regierung Fouad Sinioras zu stürzen", erklärte etwa unter lautem Jubel Saad Hariri, der Führer der Parlamentsmehrheit. Der Chef der Forces Libanaises, Samir Geagea, versprach, "die Verbrecher bis ans Ende der Welt" zu verfolgen. Und auch Walid Jumblat, der Vorsitzende der Fortschrittlichen Sozialistischen Partei (PSP), versicherte seinen Anhängern: "Wir werden uns dem Terror nicht beugen".
Der Streit um das internationale Tribunal steht im Mittelpunkt der politischen Krise, die den Libanon seit Mitte November lahmgelegt hat.
Weil die bis dahin im Kabinett Sinioras vertretenen fünf Minister der Hisbollah und ihrer schiitischen Verbündeten von der Amal-Partei Parlamentspräsident Nabih Berris sich übergangen fühlten, traten sie zurück. Im Januar kam es an zwei Tagen zu schweren Ausschreitungen, die sieben Menschenleben forderte. Berichte über eine Annäherung der beiden Seiten machten am Wochenende die Runde, ehe der Anschlag von Dienstag das Gesprächsklima erneut verschlechterte.