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Während viele Österreicher den ehemals österreichischen Überseehafen Triest noch immer mit k.u.k. Nostalgie befrachten und diese Stadt dabei mit dem Gemütszustand der Morbidezza assoziieren, hat man dort längst schon die Zukunft vom Stapel gelassen.
Ein Beispiel: Triest ist vernetzt wie kaum eine andere Stadt Mitteleuropas. Zur Verbesserung der sozialen und gesellschaftlichen Strukturen hat man mit modernster Technologie das Projekt "TS-Digitale" verwirklicht, also die Kommune digitalisiert. Die Telecom hat mit dem System "Socrate" die Stadt mit Glasfiber verkabelt. In Zusammenarbeit mit ICEGAS, ENEL (welche die "Infostrada" aufbaute), der Zeitschrift "Espresso", welche ihr "Kataweb" in dieses System integrierte, und dem regionalen Netz ESTEL hat die Stadt Triest ein umfassendes Informations- und Service-System für ihre Bürger geschaffen. Das klingt nach Orwell's "Big Brother", meint aber das Gegenteil. Das Projekt dient nicht zur Überwachung der Bürger, sondern der höheren Transparenz der Vorgänge im öffentlichen Bereich und dem Bürger-Service. Wer immer ans Netz angeschlossen ist, dem sind nicht nur alle Informationen über die aktuellen Tätigkeiten der Kommune zugänglich. Er kann darüber hinaus fast alle Service-Leistungen per Computer in Anspruch nehmen. Der vernetzte Triestiner muss also nicht mehr zum Standesamt pilgern, sondern holt sich Geburtsurkunde, Meldebetstätigung oder seinen Grundbuchauszug einfach mit einem Mausklick.
Man hat hierorts die Bürger auf diese Entwicklung intensiv vorbereitet. 13 "centri ricreatori", also Freizeitzentren wurden über die Stadt verteilt errichtet, in denen die Menschen sich über die Möglichkeiten informieren können, welche "Triest Digital" ihnen bietet. Darüber hinaus wird in diesen Zentren auch eine kostenlose Einschulung angeboten. Dabei arbeiten Jung und Alt zusammen, helfen einander.
Hinter den Gründerzeit-Fassaden blühen Innovationen und werden von der Stadt nach Möglichkeit gefördert. Das gibt es zum Beispiel die "Scuola per la Nuova Impresa", ein einjährige Lehrgang für Firmengründung. In dieser Schule können ehrgeizige junge Menschen ein Jahr lang eine virtuelle Firma führen, um so deren Erfolgsaussichten und Marktchancen abzuchecken. Diese Einrichtung wird von der Gemeinde jährlich mit umgerechnet
28 Millionen Schilling gefördert, und jeweils in gleicher Höhe von MediaBanca und MB Ventures gesponsort. Man kann auch bereits auf international bedeutsame Ergebnisse verweisen. So hat in diesem Rahmen eine Firma namens SYAC - bestehend aus drei jungen Männern - unter dem Namen EMAZE ein Sicherheitssystem für das Internet entwickelt, welches umgehend von der Generali-Versicherung übernommen wurde.
Vorreiter der technologischen Entwicklung in der Region Triest ist "AREA Science Park", ein Wissenschafts- und Technologie-Park im wahrsten Sinne des Wortes. Mitten im Grünen, oberhalb der Stadt in Padriciano gelegen, besiedelt diese Institution 55 Hektar mit zirka 60.000 m² Betriebsfläche. Hier arbeiten und forschen um die 1.400 Mitarbeiter für derzeit 64 Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen, von der Software-Entwicklung über Bio-Medizin, Physik, Umweltschutz und Telekommunikation bis hin zu Gen-Forschung. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: hier findet man das ICGEB (International Center for Genetic Engineering and Biotechnology), das ICS (International Center for Science and high technology), ein Projekt der UNIDO für die Entwicklungsländer.
Der AREA Science Park entstand schon 1982 auf Initiative der Universität Triest - mit welcher auch heute noch intensive Zusammenarbeit betrieben wird. Er ist auch über die Grenzen der Region hinweg zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden: hier wurde allein 1999 ein Umsatz von 180 Milliarden Lire erzielt (1,26 Milliarden Schilling, 90 Millionen Euro). Nicht umsonst werden hier nun auch Kurse in "Ökonomie für Forscher" veranstaltet.
Der Leiter dieses beeindruckenden Unternehmens, Dr. Lucio Susmel, bezeichnet sich selbst ironisch als dessen Hausmeister. Er verwaltet aber nicht nur die "hardware" in Padriciano, sondern managt auch die Kontakte nach außen. So konnten innerhalb von zwei Jahren über 500 Firmen dazugewonnen werden, die sich nun regelmäßig der Ressourcen des AREA Science Park bedienen.
Das von regionalen, nationalen und europäischen Körperschaften unterstützte Projekt ist auch richtungweisend durch seine Kontakte nach Ost- und Südosteuropa. Es finden zum Beispiel häufig Kurse für russische Manager statt, welche im Anschluss in Italien ein Praktikum absolvieren. Die Zusammenarbeit mit den Technologiezentren in Klagenfurt und Laibach ist selbstverständlich; gemeinsam werden regelmäßig Konferenzen und Tagungen organisiert. Die Synergie-Effekte sind enorm.
Vor diesem geistigen Hintergrund ist eine andere Vision entstanden, welche von wieder erwachten Lebenswillen Triests Zeugnis gibt: TRIESTE FUTURA. Bei diesem Projekt, welches die Wiederbelebung des "porto vecchio" zum Ziele hat, arbeiten die Gemeinde, die geistigen Väter der Science Park, die Hafenbehörde, die Universität und viele andere Institutionen zusammen an einer städtebaulichen Jahrtausendchance.
Vom Zentrum der Stadt aus, beginnend beim Bahnhof, erstreckt sich bis hinaus nach Barcola zwischen der Eisenbahn und dem Meer ein Areal von weit über einem Quadratkilometer, welches dem - im Ursprung unter Maria Theresia errichteten und später ausgebauten - "Alten" Hafen zuzurechnen ist. Es wird seit Jahrzehnten kaum mehr genutzt. Für dieses Areal hat nun TRIESTE FUTURA eine städtebauliche Studie in Auftrag gegeben. Diese wurde vom international renommierten Architekten Manuel de Solà-Morales entwickelt. Das Ergebnis ist ein überaus faszinierendes Projekt. In einem einzigartigen Mix von Wohnungen, Büros, Messezentrum, Museen, wissenschaftlichen und universitären Institutionen (wie Aula und Forschungszentrum), sowie diversen touristischen Einrichtungen (Marina, Hotel, Restaurants) und einer Shopping-mail soll hier rings um die alten Magazine eine Neue Welt entstehen: eine unglaubliche Herausforderung für Architekten und Investoren gleichermaßen. Ungefähr 160.000 m² alte Bausubstanz sollen renoviert werden, etwa gleichviel neu dazukommen. Circa 90.000 m² alter Baubestand muss demoliert werden, weil er sich bereits im Stadium des Verfalls befindet. Das vom "Studio Sofi Srl." unter der Leitung von Saviero Merzliak ausgearbeitete und präsentierte Projekt bildet erst die Grundlage für Detail-Planungen. Es wird eine komplexe Lösung vorgegeben, die nun der Konzeption der Teilbereiche harrt. Ein Wettbewerb für ein 300 Betten Hotel samt Kongresszentrum wurde bereits ausgeschrieben; ein weiterer für das Messezentrum und die musealen Einrichtungen folgt im Mai. Bis zum Jahr 2007 soll der Porto Vecchio sich sukzessive entwickeln.
Dass das ganze "autofrei" gestaltet werden wird, verdient natürlich Erwähnung. 1.900 unterirdische Stellplätze sind vorgesehen, auch der Busterminal wird unter der Erdoberfläche verschwinden. Nicht genug damit: um die von Lärm und Smog geplagte Stadt zu entlasten, ist ein Straßentunnel geplant, welcher von Barcola bis zum Neuen Hafen den Golf von Triest unterqueren wird.
Insgesamt rechnet man für den "Porto Vecchio" mit einem Investitionsvolumen von 360 Millionen Euro, von etwa ein Fünftel von öffentlicher Hand und der Rest von privaten Investoren aufgebracht werden soll, wie etwa dem taiwanesischen Green-Lloyd, welcher hier ein Evergreen-Hotel errichten wird. Die Entwicklungsarbeit wurde bislang von der Kommune, der Region, der Europäischen Union und der Autorità Portuale (Hafenbehörde), sowie einem Unternehmens-Konsortium rings um die Generali-Versicherung finanziert. Nun hofft man auf reges Interesse weiterer internationaler Investoren.
Die Chancen stehen gut: durch den absehbaren EU-Beitritt Sloweniens in spätestens vier Jahren und den dadurch bedingten Wegfall der Grenzen - welche Triest 50 Jahre lang quasi von der Welt abgeschnitten haben - wird Triest sein altes Hinterland wieder gewinnen und dadurch auch an wirtschaftlicher Bedeutung. Gleichzeitig soll in den nächsten Jahren der sogenannte Neue Hafen an der südlichen Flanke der Stadt, bis hinüber nach Muggia neu strukturiert und auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Er soll in Hinkunft für den mitteleuropäischen Übersee-Handel eine attraktive Alternative zu den Nordsee- und Atlantikhäfen bilden. Auch laufen Gespräche zwischen den Hafenbehörden von Triest, Koper, Fiume und Monfalcone über ein mögliches joint-venture.
Durch die geplanten touristischen Einrichtungen wird es auch zu einer entscheidenden Belebung des Fremdenverkehrs kommen. Man bereitet sich in Triest darauf vor. Das 5-Sterne-Hotel "Maria Theresia" will seine Kapazität verdoppeln. Der alte "mercato coperto", also der überdachte Markt in der Via Carducci wird zu einem Hotel der gehobenen Klasse umgebaut, und oben, beim Obelisken von Opicina, soll ein weiteres entstehen. Triest scheint einer neuen Gründerzeit entgegenzusehen.
Entscheidend für diese Entwicklungen ist natürlich die Schaffung entsprechender Strukturen, wobei Triest auf die Kooperation mit der Italienischen Regierung und mit Brüssel angewiesen ist. Dazu gehören der Ausbau der Verkehrswege entlang des "Korridor 5" von Lyon bis Kiew beziehungsweise Moskau, aber auch der der Nord-Süd-Verbindungen, wobei in Friaul und Slowenien eindeutig der politische Wille: "Schiene vor Straße" lautet. Nicht unerheblich für diesen gesamteuropäisch bedeutsamen Prozess ist auch die Rolle der Nachbarstaaten, also auch die Österreichs.
Man sollte als Demokrat äußerst vorsichtig damit sein, größere gesellschaftspolitische Entwicklungen mit Einzelpersonen in Verbindung zu bringen. Im Fall Triest ist man aber geneigt, von einer "Ära Illy" zu sprechen. Riccardo Illy hat als Bürgermeister in zwei Amtsperioden seit 1993 das Gesicht der Stadt wesentlich verändert. Freilich waren in diesen Jahren die geopolitischen Umstände äußerst günstig für die Hafenstadt. Freilich sind diese Entwicklungen nicht ausschließlich von ihm ausgegangen. Trotzdem kann man behaupten, dass er kraft seines politischen Instinktes, seiner diplomatischen Begabung und - was gerade für diese Stadt so entscheidend ist - mit seinen kaufmännischen Visionen einen positiven sozialen und ökonomischen Prozess in Gang gesetzt hat, der irreversibel ist.
Triest ist in den letzten Jahren wieder zu einem Schauplatz sinnvoller Investitionen geworden. Die Bevölkerung nimmt zu. Nach derzeitigen Prognosen werden in der nächsten Zeit jährlich 2.000 bis 3.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, die auch für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Osten zur Verfügung stehen werden.
Nach italienischem Wahlrecht kann Illy kein drittes Mal Bürgermeister werden. Er will aber in der Politik bleiben, und kandidiert nun als Abgeordneter des "Ulivo"-Bündnisses für das Parlament in Rom. "Ich kandidiere aus Sorge darum, dass der Beitritt Sloweniens zur EU durch eine Mitte-Rechts Regierung verzögert werden könnte, wie es schon 1994 geschehen ist.", sagte er in einem Interview mit der Zeitung "La Repubblica".
Der Stadt Triest hinterlässt er ein veritables politisches Erbe. Und die Initiative für eine Weltausstellung 2006 oder 2010. Basierend auf einer Idee des Rektors der Fakultät für Architektur der Universität Triest, Prof. Giacomo Borruso, hat sich nun Triest um die Ausrichtung einer EXPO beworben. Mit gutem Grund: entsteht hier - traditionell zwischen den Kulturen - eine neue Hauptstadt einer europäischen Region. Exakt am Schnittpunkt zwischen Balkan und Mitteleuropa, zwischen Norden und Süden.
Eine ehemalige Weltstadt schickt sich an - wenn auch noch ziemlich unbemerkt von Europa (und darüber hinaus von vielen ihrer eigenen Einwohnern) - wieder eine solche zu werden. Wo sonst sollte man sinnvollerweise eine Weltausstellung veranstalten?