In Oberösterreich spielen mittelgroße Städte eine besondere Rolle bei der Herbergssuche für Flüchtlinge. Ein Lokalaugenschein in Steyr zwei Monate vor dem rot-blauen Showdown.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Steyr. 14 Jahre ist der jüngste Bewohner des Flüchtlingswohnheims alt. Erst vor wenigen Tagen kam der Syrer hier in Steyr an. Zur Begrüßung streckt er höflich seine dünne Hand aus, dem direkten Blickkontakt weicht er aus. Er liegt auf einem Sofa im Eingangsbereich des freundlich gestalteten Gemeinschaftsraums der Flüchtlingsunterkunft. Bunte Farben, ein Billardtisch und ein Wuzler kreieren eine Atmosphäre, die den jungen Menschen helfen soll, ihre nicht jugendfreie Vergangenheit zu vergessen. Österreichische statt italienischer Gastfreundlichkeit in der ehemaligen Pizzeria Maradonna, die vor zehn Jahren zusperrte und zu einem Zufluchtsort für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurde.
155 Asylwerber sind derzeit in der 38.000-Einwohner-Stadt Steyr untergebracht und leben hier auf vier Quartiere verteilt. In einer Woche werden es 185 sein, da sich das Landeskrankenhaus bereit erklärt hat, 30 Flüchtlinge in einem frei stehenden Gebäude aufzunehmen. Vor dem Hintergrund des dramatischen Platzmangels in Traiskirchen, der Tatsache, dass 75 Prozent der Gemeinden in Oberösterreich noch keine Flüchtlinge aufnehmen und in Linz sogar die SPÖ gegen Massenquartiere plakatiert hat, kommt mittelgroßen Städten wie Steyr eine besondere Rolle zu.
In der ehemaligen Pizzeria kümmern sich sechs Betreuerinnen, eine Psychologin und eine Sprachtrainerin um die 32 Jugendlichen. Das aktuell größte Problem ihrer Schützlinge: die Warterei ohne Perspektive. Die Mitarbeiterin der Volkshilfe, Madlene Knoll, ist aufgebracht und ballt die Fäuste, wenn sie vom Alltag der Jugendlichen erzählt. Immer wieder entschuldigt sie sich für ihre emotionalen Ausbrüche. Täglich ist sie mit der Not der jungen Menschen konfrontiert, auch mit deren Geldnot. Von der Politik fühlt sie sich allein gelassen. Die langen Wartezeiten im Asylverfahren und die Willkür, mit der manche Bescheide schneller, andere erst nach Monaten bearbeitet werden, hält sie für unzumutbar. So, sagt sie, lasse sich keine Zukunft planen.
Szenenwechsel in die heiligen Hallen des Stifts Gleink, das seine Pforten im März für 36 Männer aus Palästina, dem Irak, Syrien und Afghanistan geöffnet hat. Dafür stark gemacht hat sich der Besitzer des Stifts, die Diözese Linz. Eigentlich könnten bis zu 100 Menschen hier untergebracht werden, ist zu hören, doch "Massenquartiere" will die Politik nicht.
Eingebettet in der Natur, mit seinem Gemeinschaftsgarten, bietet das neue Heim ein idyllisches Bild. Auch im Inneren des Gebäudes herrscht eine ähnliche Atmosphäre: weite Flure, freundlich gestaltete Zimmer, frisch gestrichene Wände in fröhlichen Farben. Privatpersonen haben mitgeholfen die Räumlichkeiten zu renovieren, bevor Flüchtlinge eingezogen sind. Fast das gesamte Inventar, das für die Männer zur Verfügung gestellt wurde, stammt aus privaten Spenden, erzählt Ursula Bichler, Caritas-Mitarbeiterin, bei einem Rundgang am Gelände. Auch sie beklagt die langen Wartezeiten im Asylverfahren. Von den 36 Bewohnern hatten erst drei ein Erstgespräch fürs Verfahren.
Die finanzielle Situation sei ebenfalls eine Herausforderung. Sieben Euro bekommt ein jugendlicher Asylwerber pro Tag, ein Erwachsener fünf Euro, in einem Quartier ohne Verpflegung. Dies sei natürlich zu wenig und ohne private Spenden könnten die Menschen kein normales Leben führen, meint auch die Volkshilfe-Mitarbeiterin Knoll vom Maradonna. Bemerkenswert sei die Hilfsbereitschaft und Offenheit der Steyrer Bevölkerung gegenüber den Asylwerbern, sagt sie: Menschen stehen mit einem vollen Kochtopf vor der Tür und bieten selbstgemachtes Essen an. Eine Frau spende jeden Monat 500 Euro an das Jugendwohnheim.
Die einzige Partei, die gegen die Unterbringung von Flüchtlingen stimmte, war die FPÖ, betont deren Steyrer Stadtrat Helmut Zöttel. Seine harte Haltung steht im Kontrast zu seiner milden Erscheinung. Während er von einer Verschiebung der Kulturen spricht, von Problemen, die mit "diesen Leuten" nach Europa zu uns kommen und die Abgrenzungspolitik Ungarns preist, wirkt er heiter und unterstreicht Argumente mit einem Lächeln. Die Gastfreundschaft gegenüber der österreichischen Reporterin kennt - an Kaffeeportionen gemessen - keine Grenzen.
"Die Berichterstattung über gut integrierte Flüchtlinge ist manipuliert", ist Zöttel überzeugt. Er wisse um das kriminelle Potenzial, das in den Kulturen der Asylwerbern stecke. Der blaue Stadtrat prognostiziert nach den Wahlen in Oberösterreich einen weiteren Zuwachs von Flüchtlingen in Steyr. Die SPÖ traue sich jetzt nur nicht, noch mehr aufzunehmen - aus Angst Wählerstimmen zu verlieren. Die FPÖ, hingegen, die halte Kurs und vertrete immer dieselbe Meinung, vor und nach der Wahl. Das würde von der Bevölkerung bemerkt und honoriert.
"Meine Partei wird nicht mehr sofort ins böse Eck geschoben", notiert Zöttel steigende Sympathien für seine FPÖ. Auf die Frage nach Lösungsvorschlägen beim Thema Asyl, meint der Stadtrat: "Wir sollten es wie Ungarn machen." Die ungarische Regierung errichtet einen Grenzzaun, um die Einreise weiterer Flüchtlinge zu verhindern. Eine Forderung, die Zöttel bis zur Landtagswahl am 27. September noch öfters wiederholen wird. Umfragen sehen die FPÖ bereits weit vor der SPÖ.
Davon lässt sich der rote Stadtrat Michael Schodermayr nicht beirren. "Wenn die FPÖ gegen mich ist, weiß ich, dass ich auf der richtigen Seite stehe." Der in Steyr praktizierende Arzt betont die Vorbildlichkeit der Stadt im Umgang mit Asylwerbern. Die Gründe für die unzureichende Kooperation anderer Gemeinden sieht er klar auf politischer Ebene: Über Jahre hinweg wäre den Menschen im Hinblick auf die Flüchtlingsthematik von politischer Seite gehörig Angst eingeflößt worden. Jetzt seien die Menschen verunsichert. Schodermayrs Erfahrung nach ändere sich die Einstellung der Gegner jedoch grundlegend, sobald sie den flüchtenden Menschen tatsächlich begegnen. Es brauche vor allem politischen Mut im Umgang mit der Asyldebatte. "In Steyr ist dieser Mut vorhanden", ist sich der Stadtrat sicher.
Der rote Bürgermeister von Steyr, Gerald Hackl, betont ebenfalls die Notwendigkeit der Kooperation mit anderen Gemeinden: "Die Last soll gerecht verteilt werden." Aber erfüllt Steyr überhaupt seine Quote? Dieses Wort meiden alle Beteiligten wie der Teufel das Weihwasser. Selbst die politischen Vertreter einer Stadt, die diese offenbar erfüllt. Denn bis vor zwei Wochen fehlten noch 30 Asylwerber auf die Quotenerfüllung, war damals zu hören. Genau jene 30, die nun im Krankenhaus unterkommen. Stadtrat Schodermayr sagt nur so viel: "Ja, wir erfüllen unser Soll."
Der Grund, warum "Quote" ein Anwärter für das Unwort des Jahres ist, liegt in der Landespolitik. Dort hat man sich darauf geeinigt, keine verpflichtenden Quoten einzuführen und schon gar nicht darüber zu reden. Ein täglicher Wettlauf um deren Erfüllung soll damit vermieden werden. Bis Ende Juli sollen in Oberösterreich 1500 neue Plätze für Flüchtlinge geschaffen werden, um das völlig überfüllte Erstaufnahmezentrum Traiskirchen zu entlasten - Quote hin oder her.