"Altes nicht heiligsprechen, aber es muss Bestand haben, wenn es Heimat ist."
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Alpbach/Wien. Carl Fingerhuth (77) ist Städteplaner und als solcher beratend in Zürich aktiv. Er ist Mitglied des Aspern Beirats, eines beratenden Gremiums für die Wien 3420 Aspern Development AG. Mit der "Wiener Zeitung" sprach er über die Bedürfnisse einer modernen, wachsenden Stadt wie Wien.
"Wiener Zeitung": Wie sollte Baukultur in einer wachsenden Stadt am besten funktionieren?Carl Fingerhuth: Baukultur hat nichts mit einer wachsenden oder schrumpfenden Stadt zu tun. Baukultur heißt einfach, zu versuchen, die Bedürfnisse der Stadt aufzunehmen und diese auch im Gebauten zu reflektieren. Auch eine schrumpfende Stadt muss mit Baukultur arbeiten. In Leipzig hat man zum Beispiel in einem großen Areal, das leer wurde, einen Hirschpark eingerichtet. Da ist etwas entstanden, das der Stadt wieder eine Vitalität gibt, eine Belebung bringt, auch wenn die Bevölkerungszahl abnimmt. Bei einer wachsenden Stadt muss man aufpassen, dass man respektvoll mit dem umgeht, was schon ist. Jeder von uns hat Erinnerungen, wir sind aufgewachsen mit Geschichten, mit Erlebnissen, die wir integriert haben und die wichtig sind, und da darf man, meine ich, nicht einfach eine neue Stadt bauen wollen, ohne Respekt vor dem Alten zu haben.
Sie sind Mitglied des Beirats der Seestadt Aspern. Was halten Sie von der Idee der Stadt in der Stadt als Form der Stadterweiterung?
Die Idee war die einzig mögliche Lösung. Man braucht mehr Wohnungen in Wien, man ist eine wachsende Stadt, und man muss sich darum kümmern, für dieses Wachstum auch die entsprechenden Bauten zu stellen. Man hat einen städtebaulichen Wettbewerb gemacht, der für diesen Ort eine Struktur vorgeschlagen hat. Ich bedaure, dass die ursprüngliche Idee Seestadt auf eine gewisse Weise verloren gegangen ist, weil sich die neuen Stadtteile nicht auf den See orientieren. Die Aufgabe unserer Gruppe ist jetzt, Baukultur in den Prozess einzubringen.
Es ist ja in einer wachsenden Stadt auch notwendig, zu verdichten. Wie hoch können Hochhäuser sein?
Das hängt von der Stadt ab. Also, Manhattan würde wahrscheinlich noch viele Hochhäuser vertragen. Feldkirch würde vielleicht nicht so viele Hochhäuser vertragen, oder gar keine. Die Zeit ist vorbei, in der man Rezepte entwickelt hat. Das Rezept der 60er und 70er Jahre war ja, die Stadt abzubrechen und neu anzufangen. Wir haben jetzt wieder ein Bewusstsein, dass das Alte zwar nicht heiliggesprochen werden muss, sondern es ein Zusammenspiel von Alt und Neu geben soll. Da muss das Alte weichen, wenn es banal und morsch geworden ist, aber es muss auch Bestand haben können, wenn es von den Menschen als ihre Heimat angesehen wird. Es ist immer ein Abwägungsprozess, da kann man keine Rezepte entwickeln, die generell gelten.