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"Stadt nimmt Klimawandel-Effekt vorweg"

Von Eva Stanzl

Wissen
Ein Forschungsteam der UniversitŠt fŸr Bodenkultur (Boku) hat in Wien eine ungeahnte Artenvielfalt entlang von Bim-Gleisen und U-Bahn-Trassen entdeckt. Ein konkreter Maßnahmenkatalog der Wiener Linien soll nun Wildbienen & Co. schützen und Biodiversität in der Stadt forcieren.
© WIENER LINIEN/ALEXANDER ZALOKAR

Wälder und Bäume tragen zu Gesundheit und Artenschutz bei: Wie sie zu retten sind, war Thema einer Diskussion in Wien.


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Biodiversität stellt die Grundlage für fast alles dar, was wir tun - was wir essen und anziehen, wo und wie wir leben. "Gerade im klimatisch diversen Wien, wo die pannonische Tiefebene auf die Donau trifft und die Alpen nicht weit entfernt sind, gibt es eine große Artenvielfalt", hob Gastgeberin Kathrin Vohland, Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums in Wien, am Montagabend einleitend zu einer Kaiserschild-Lecture unter dem Titel "Biodiversität in der Stadt" hervor. Die Veranstaltungsreihe der Kaiserschild-Stiftung im Rahmen von "Wissen schafft Diskurs" ist eine Kooperation der "Wiener Zeitung" und des Postgraduate Center der Universität Wien.

Der eher technisch anmutende Ausdruck "Biodiversität" vermag allerdings nicht dasselbe Gefühl hervorzurufen, das Menschen beim Blick aus dem Fenster ins Grüne oder bei einem Waldspaziergang empfinden. Dass die Menschheit in der Umsetzung des Artenschutzes zögerlich vorgeht, mag also auch damit zu tun haben, dass derart technische Ausdrücke keine Bilder im Kopf erzeugen.

Wälder und Bäume tragen zur Gesundheit bei - etwa als Hitzeschild in Zeiten des Klimawandels, Luftfilter oder Quelle für Heilpflanzen, Wirkstoffe und Nahrung. Mangelhafte Praktiken beim Waldschutz führen zu negativen Auswirkungen auf die Gesundheit, hieß es kürzlich in einem Bericht internationaler Forscher. Die Autorinnen und Autoren verweisen dabei nicht nur auf den Nutzen von Waldflächen als heilende Umgebung, sondern auch als Beitrag zur Artenvielfalt.

Arten sterben immer wieder aus, Neue kommen dazu. "Die Evolution ist das Vergehen und Entstehen neuer Arten. Aber wir Menschen haben die Evolution bis zu einem gewissen Grad abgelöst", sagte Franz Essl, Biodiversitätsforscher am Department für Botanik der Uni Wien und "Wissenschafter des Jahres 2022": "Heute entscheidet nicht die Evolution, welche Arten das nächste Jahrzehnt oder die nächsten 200 Jahre überleben werden, sondern wir sind die prägende Kraft mit unserem Tun." Der stetige Verlust vieler Tiere und Pflanzen habe die Welt in den roten Bereich der Liste gefährdeter Arten gebracht "und das ist ein Alarmsignal, das zeigt, dass die Natur nicht mehr in Ordnung ist."

"Geht um Menschenschutz"

Städte spielen im Gesamtszenario auch gemessen an ihrer Einwohnerzahl eine wichtige Rolle. "In Österreichs Städten leben 60 Prozent der Bevölkerung. Die UNO schätzt, dass der Prozentsatz global bis 2040 auf 70 Prozent ansteigen wird" nannte Ursula Bittner, Wirtschaftsexpertin bei Greenpeace CEE, Zahlen: "Ein großer Faktor ist das Verkehrssystem. 60 Prozent der Verkehrsflächen werden von Autos genutzt, obwohl nur 27 Prozent (der Verkehrsteilnehmer, Anm.) mit dem Auto fahren." Bittner ortete "ein extremes Ungleichgewicht" zwischen Auto, Fahrrad und Öffis in der städtischen Fortbewegung. Auf dem Land sei dies mangels Anbindung an den öffentlichen Verkehr weniger leicht zu lösen.

"Die Natur braucht keinen Schutz. Sie organisiert sich neu. Auch ohne Säugetiere. Das ist für uns ein Problem, aber nicht für die Natur. Wenn jemand Schutz braucht, ist es eher der Mensch vor sich selbst und den Problemen, die er ausgelöst hat." Diese These warf Moderatorin Judith Belfkih, Stellvertretende Chefredakteurin der "Wiener Zeitung", in die Diskussion. Sie wurde von Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, aufgegriffen: "Wir verwenden die falschen Begriffe. Klimaschutz ist nicht das passende Wort, es geht um Menschenschutz." Der Mensch müsse auch zum Selbstschutz das Klima retten. Und hierbei seien - vielleicht unerwartet - gerade Stadtbewohnerinnen und -bewohner recht gut unterwegs. Sie seien "in einem hohen Maß sensibilisiert" auf das Thema, sagte er. Gemeint sei dies auch im Bezug auf die räumliche Art und Weise, wie sie ihr Leben organisieren.

"Zu wenig Ambitionsniveau"

"Städter verursachen mit 100 Quadratmeter pro Person Wohn- und Verkehrsfläche einen geringeren Flächen-Fußabdruck als Personen, die auf dem Land flächenintensiv wohnen", sagte er. "Das schlechteste Bundesland" - Madreiter sagte nicht welches - liege bei 1100 Quadratmetern pro Person. Wer die Natur schützen wolle , müsse städtische Siedlungsformen auch auf dem Land unterstützen.

Einen Mangel an Radikalität in der Umsetzung ortete Essl: "Wien könnte viel mehr machen. Mir fehlt das Ambitionsniveau und die Geschwindigkeit", sagte er und nannte ein Beispiel: "Es ist nicht nachvollziehbar, dass eine aus dem fossilen Zeitalter stammende Stellplatzverordnung heute noch jeden, der ein Haus baut, verpflichtet, auch einen Parkplatz dazu zu bauen." Wenn die Regelung schon aufrecht erhalten werde, müsse sie gleichermaßen zur Bereitstellung von Grünflächen verpflichten. Gerade die Art der Flächennutzung sei für das urbane Klima entscheidend, "zumal es in den Städten um zwei Grad wärmer ist als außerhalb der Stadt."

Der Mensch ist "zu einer urbanen Art geworden", sagte Essl: "Städte sind die Hotspots unseres Lebens und eigene Ökosysteme, die sich charakteristisch vom Flachland rundherum unterscheiden. "Städte sind - wie wir in Wien leidvoll erleben - wärmer und trockener als am Land - sie sind wie ein Laboratorium, das Klimawandel-Effekte vorwegnimmt", betonte der Biologe.

Und dennoch müssten alle, die etwa nach Wien ziehen (1989 hatte die Haupstadt 1,5 Millionen und jetzt hat sie 1,9 Millionen Einwohner, Anm.), Wohnungen und Verkehrsanbindungen haben, führte Madreiter ins Treffen. Etwa sei der Bau der geplanten Stadtstraße Aspern, die die Südosttangente mit der Spange Seestadt Aspern verbinden soll, notwendig, damit wir dort "ein halbwegs ähnliches Ausmaß an Straßen haben wie etwa im 18. Wiener Gemeindebezirk."

Der Mensch ist ein Fluchttier und tut sich schwer, Dinge zu antizipieren und vorausschauend zu reagieren. Könnte der ökonomische Nutzen eine Triebfeder sein, um etwas zu bewegen? "Die Natur hat einen Wert jenseits des Ökonomischen, egal, wie wir sie ökonomisch bewerten. Man kann ihre Zerstörung nicht mit finanziellen Mitteln gut machen", fasste Bittner zusammen.