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Gasometer, City Town Town, Marximum - ein neues Großprojekt reiht sich am East End von Wien ans nächste, sodass man vor lauter Cities, Towns und Centers den Eindruck gewinnen könnte, die einstige Peripherie zwischen Erdberg und Simmering hätte sich in einen der pulsierendsten Orte Wiens verwandelt.
Dies hatte das Rathaus auch versprochen, als Ende der 1990er Jahre die U-Bahn-Linie 3 in den 11. Bezirk verlängert und dabei ein bis dahin abgelegenes Stück Vorstadt durchquert und somit hochwertig erschlossen worden war. Die spröde Mischung von gesichtslosen Gewerbehallen, aber auch Relikten der gründerzeitlichen Industrialisierung, von stark emittierenden Abfall- und Transportunternehmen nebst alten Gärtnereien und nicht zuletzt von großmaßstäblichen Verkehrsanlagen wie der Ostautobahn, der Wiener Südosttangente in Hochlage sowie zweier raumgreifender Autobahnkleeblätter sollte sich zu einem attraktiven Stadtteil zum Wohnen, Arbeiten und Erholen entwickeln - und der Umbau der vier funktionslos gewordenen Gasometer sozusagen als Initialzündung dafür fungieren.
Dementsprechend aufwändig wurde dann auch das Eröffnungsfest mit 130.000 Schaulustigen Ende August 2001 inszeniert, das nicht nur der kommunalpolitischen Spitze in Person von Bürgermeister Michael Häupl und seinem damaligen Wohnbaustadtrat Werner Faymann ein Bad in der Menge ermöglichte, sondern durch den damaligen SP-Bundesparteiobmann Alfred Gusenbauer sowie "Krone"-Herausgeber Hans Dichand quasi zum Staatsakt geriet. Die Festredner dankten allerdings nicht den Steuerzahlern, die durch ihre U-Bahn- und Wohnbauförderungsabgaben das ohne massive Subventionen nicht realisierbare Projekt finanziert hatten, sondern streuten sich selbst und Österreichs einflussreichstem Medienmacher Rosen.
PR-Kampagnen
Denn dass die 615 Wohnungen, die man in die 72 Meter hohen, backsteinernen Industriedenkmäler implantierte, von Beginn an so gut wie alle vergeben waren, dass die 22.000 Quadratmeter große Shopping Mall, die sich auf 450 Metern durch die vier Gasometer zieht, restlos vermietet war, war weniger dem Standort oder der Kreativität der vier für den Umbau engagierten Star-Architekten zu verdanken, als einer bis dahin beispiellosen, mehrjährigen PR-Kampagne. Von den ORF-Hauptnachrichten über sämtliche Wiener Tageszeitungen bis hin zu den Publikationen des Rathauses und ihm nahe stehenden Institutionen - alle relevanten Medien berichteten über die Sensation, dass in den alten Gasbehältern eine kleine Stadt in der Stadt entstand. Angeführt wurde der Medienrummel von der "Kronen Zeitung", die den Gasometern zwei Sonderausgaben der Wochenendbeilage "Krone Bunt" widmete.
Eine seriöse Auseinandersetzung mit der zu erwartenden Wohn- und Wohnumfeldqualität fand dabei nicht statt: Gezeigt wurden eindrucksvolle Ansichten der denkmalgeschützten Gemäuer, ein stolzer Wohnbaustadtrat oder der Fernblick von einer der vier Kuppeln. Dass viele Wohnungen dem Lärm der nahen Autobahnen ausgesetzt sind, dass für 1500 Bewohner lediglich ein Spielplatz - und bei drei der vier Gasometer keinerlei Freiflächen zur Verfügung stehen, wurde hingegen verschwiegen beziehungsweise schön geredet: durch Verweise auf die hervorragende Verkehrsanbindung - "Krone Bunt": "Die Stadtautobahn führt bis vor die Tür" - ebenso wie durch Betonung der Nähe zum Prater, der Erholung suchenden Gasometer-Citoyens allerdings die Durchquerung des Gewerbegebiets Erdberger Mais, sowie die Überwindung einer U-Bahn-Remise, der Erdberger Lände und der Flughafenautobahn abverlangt.
Dafür riss die "mediale Betreuung" der Gasometer City auch nach deren Inbetriebnahme nicht ab. Als etwa im Jahr 2003 eine sozialwissenschaftliche Studie im Auftrag der Wiener Stadtplanung die Wohnzufriedenheit in den größeren Wohnanlagen Wiens untersuchte und dabei drei Großsiedlungen des Wohnbauveteranen Harry Glück aus den 1970er und 80er Jahren klar vor den Prestigeprojekten der Ära Faymann sah, versorgte das Wohnbauressort die Medien mit alternativen Studien.
"Alle lieben die Gasometer City" und "Bewohner der Gasometer sind zufrieden" betitelten "Kronen Zeitung" und "Kurier" im selben Jahr ihre ganzseitigen Artikel über eine Untersuchung der Wohnzufriedenheit im Vorzeigewohnbau des Stadtrats. Dass die Analyse von dessen Büro selbst in Auftrag gegeben und von einer Management-Consulting-Firma anstatt von Wohnbauforschern erstellt worden war, fand man dabei nicht einmal wert zu verschleiern.
Auch die Shopping Mall in der Gasometer City erhielt noch länger medialen Rückenwind. "Einkaufszentrum, Kino, Konzerte machen Gasometer zu Wohntraum", überschrieb der "Kurier" eine ganzseitige Eloge im Mai 2004. "Mehrheit der Bewohner ist mit Angebot zufrieden", behauptet der Artikel unter Verweis auf eine - nicht näher genannte - "aktuelle Studie". Dass PR allein fehlende Lagegunst nicht aufzuwiegen vermag, hatte sich jedoch bereits abgezeichnet, als erste Geschäfte nur wenige Monate nach Eröffnung des Einkaufszentrums wieder schlossen. Bis zum Sommer 2006 verließ ein gutes Dutzend Händler - meist aus der oberen Preiskategorie - den Standort.
Geht man heute durch die Mall, offenbaren sich einem Bilder wie aus einer Geisterstadt: Während sich in Gasometer A der Leerstand noch in Grenzen hält, sind in Gasometer B die Läden bereits zur Hälfte leer - und Gasometer C wirkt wie ausgestorben. Zudem dürften die Lokale, die noch genutzt werden - sei es der Friseursalon "Ursis Haare", seien es Sozialeinrichtungen wie die Wiener Lerntafel - auch nicht annähernd jene Mieten hereinspielen, die den Fortbestand des Zentrums sichern helfen. Die Slogans des kaum frequentierten Fitness Centers in Gasometer D - "Die Fetten Jahre sind vorbei" und "Willkommen an der Schmerzgrenze" - haben längst symptomatische Bedeutung für die Mall erlangt.
So ist in dem Café im gläsernen Verbindungsgang zwischen Gasometer B und C ebenso wenig ein Gast auszumachen, wie in dem Espresso auf dem verglasten Steg über die Guglgasse - der die Gasometer mit dem benachbarten Urban Entertainment Center verbindet. Während die Mall über weite Strecken den Eindruck erweckt, als würde sie am nächsten Tag geschlossen werden, präsentiert sich der angedockte "Pleasuredome" so, als wäre er bereits vor Monaten geschlossen worden: gähnende Leere allenthalben, auf den Galerien des dreigeschossigen Unterhaltungs- und Gastronomiekomplexes lagern die Hinterlassenschaften aufgelöster Restaurants, kaputte Aufzüge, Absperrungen - einzig das schlecht besuchte Megaplex-Kino, ein Glücksspielsalon und einige Beiseln mit Vorstadtcharakter halten das Gebäude noch in Betrieb.
Leere Büroflächen
Selbst die Büros in der Gasometer City sind nicht jener Renner geworden, als den man sie den politischen Verheißungen nach erwarten hätte können. Während sich der stadteigene Bauträger von Gasometer D damit behalf, die nicht für Wohn- und Handelszwecke geeigneten Flächen an das Wiener Stadt- und Landesarchiv zu vermieten, sah sich der - fünf Jahre später in Konkurs gegangene - Bauträger von Gasometer A gezwungen, seinen Firmensitz im 9. Bezirk zu veräußern und selbst die nicht vermarktbaren Büroflächen zu beziehen.
Lange Zeit wurde betont, all das seien Anlaufschwierigkeiten, die sich ins Positive umkehren würden, sobald sich das Umfeld der Gasometer entwickelt habe. Nach zehn Jahren hat sich das Umfeld entwickelt - allerdings in Richtung eines beziehungslosen Nebeneinanders von zweit- und drittklassigen Projekten, die sich auf die Gasometer City ebenso wenig belebend auswirken, wie sie von ihr Impulse empfangen.
Nördlich der Gasometer entstanden auf sich bezogene Büroburgen, die ebenfalls nur dank öffentlicher Institutionen wie der Statistik Austria oder Wiener Wohnen, der Verwaltung der 220.000 Wiener Gemeindebauwohnungen, Auslastung fanden. Westlich schließen eine mit Plakatwänden umgebenen Invest-Ruine des stadtnahen Bauträgers B.A.I., der dort einen 22-geschoßigen Büroturm errichten wollte, sowie nach wie vor bestehende Gewerbebetriebe an. Dahinter ragt TownTown, die voluminöse Überbauung der U3 bei Erdberg, empor, die von den Wiener Linien mitentwickelte und als vitaler Hot Spot am Büroimmobilienmarkt der Donaumetropole angekündigt wurde. Im Endeffekt aber füllten zur Rettung des spekulativen Stadtteils vor allem Magistratsabteilungen sowie die Wiener Stadtwerke selbst die banale Architektur namhafter Baukünstler auf.
Südlich der Gasometer entstanden vier gleichförmige Wohnbauten, deren besonderer Reiz darin liegen soll, dass sie schief in den Simmeringer Himmel ragen. Abseits dieser architektonischen Marotte fallen allerdings nur Defizite auf: sei es, dass der Hälfte aller Wohnungen keine Balkone zugestanden wurden, sei es, dass die Grünflächengestaltung eine - für den Wiener Wohnbau der letzten Jahre nicht untypische - Verhöhnung der Bewohner darstellt, die in zwei handtuchgroßen, mit Maschendrahtzaun umgrenzten "Spielplätzen" mit jeweils einer Sandkiste und einem Wipppferd gipfelt. Daneben umsäumen die Gasometer auf ihrer attraktivsten Seite eine hermetisch abgeriegelte Betriebssportanlage von Wien Energie, ein temporäres Veranstaltungszelt, ein städtischer Mistplatz und mehrere Parkplätze - alles fein säuberlich von einander getrennt, sodass das Vorfeld der gründerzeitlichen Industriedenkmäler nicht nur als ästhetische Zumutung, sondern auch als undurchlässige Barriere wirkt. Dass dort nun auch noch eine hochrangige Straße geschlagen werden soll, kann nur eine weitere Verschlechterung bedeuten.
Umso beschämender ist dies, als die Planungspolitik für diesen Bereich unter dem Schlagwort "Mehrwert Simmering" jahrelang eine attraktive Bebauung und Gestaltung verhieß - als "städtebauliches Rückgrat" zwischen den Gasometern und dem Bezirkszentrum Simmering mit einer "boulevardartigen Geschäftsstraße".
Was in weiterer Folge tatsächlich auf dem Areal entstanden ist, nennt sich "Marximum": ein immens dicht verbautes Quartier, in dem zig-Tausende Quadratmeter Bürofläche leerstehen und in dessen steril gestaltetem öffentlichen Raum höchstens das Security-Personal zu sehen ist, das die Potemkin’sche Stadt bewacht.
Östlich der Gasometer trug die Stadt Wien höchstselbst dazu bei, dass das Gerede vom urbanen, durchmischten Stadtteil rund um die vor zehn Jahren umgebauten Wahrzeichen von Simmering nur noch als schlechter Witz durchgeht. 2006 wurde hier Österreichs größtes Biomassekraftwerk errichtet, 2007 ebendort eine Biogas-Anlage in Betrieb genommen - und seit 2008 verfeuert eine Müllverbrennungsanlage in Sichtweite der Gasometer City jährlich 250.000 Tonnen Restmüll.
Reinhard Seiß ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist, Autor von "Wer baut Wien?" (Verlag Anton Pustet, 2007).