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Früher sagten einander Fuchs und Hase irgendwo im Wald gute Nacht, heute tun sie das ungeniert sogar mitten in der Stadt. Auch in Wien.
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Die Stadt bietet dem Mensch leicht beschaffbares Essen, Unterkunft, Beschäftigung und Unterhaltung auf relativ kompaktem, überschaubarem Raum. Die Befriedigung seiner Bedürfnisse bedarf keiner großen körperlichen Anstrengung und gefährlich ist sie im Allgemeinen auch nicht. Diese Vorteile haben längst auch Wildtiere wie Fuchs, Dachs, Marder, Kaninchen, Wildschwein oder Reh erkannt, selbst Vögel wie Turm- und Wanderfalken sowie natürlich Ratten und Mäuse machen es sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Menschen gemütlich.
Tierische Nachbarn
Jüngst beim Wiener Forschungsfest hätten ihm zwei Besucher unabhängig voneinander erzählt, dass sie einen Dachs bei der Oper gesehen hätten. Auch Waschbären sollen schon gesichtet worden sein. Und er selbst kennt ein Foto von einer Wildsau, die in einem Wiener Außenbezirk, gemütlich an ein parkendes Auto gelehnt, ihre Frischlinge säugt. "Wildtiere erobern die Stadt immer mehr, selbst in dicht verbauten Gebieten findet man mittlerweile Füchse, Marder und Igel", sagt Walter Arnold, Leiter des Forschungsinstitutes für Wildtierkunde und Ökologie, im Gespräch mit dem "Wiener Journal". Was die Füchse angeht, folgt Wien unmittelbar dem Trend in Zürich, wenn man auch noch nicht ganz an die dort lebende Zahl von etwa 1200 Tieren herankommt. Doch die Population wächst, und ähnlich wie in München und Umgebung, wo mittlerweile bis zu zehn Mal mehr Füchse leben als in der freien Natur, könnte man auch in Wien in naher Zukunft öfter dem einen oder anderen Meister Reineke begegnen. Und zwar nicht nur in den Randgebieten und großen Parks, wo sie ihre Baue haben.
Grund für die stetige Zunahme des Bestandes ist neben den außergewöhnlich guten Lebensbedingungen in der Stadt auch die Ausrottung der Tollwut sowie das weitgehende Fehlen von Gefahren für Leib und Leben: An den Straßenverkehr haben sich die Füchse nämlich besser angepasst als so manche Menschen. Die dichter werdende Fuchspopulation hat aber auch deren Sozialverhalten geändert: "Füchse sind Einzelgänger, doch der engere Lebensraum und die wachsende Zahl von Tieren hat dazu geführt, dass wir bereits richtige Fuchsrudel beobachten können", erklärt Arnold. Evolution vor der Haustür sozusagen.
Hat ein Fuchs den eigenen Garten als neues Revier erkoren, rät Arnold davon ab, ihn zu füttern oder ihm das Graben eines Baues zu ermöglichen: "Es sind trotz allem Wildtiere und als solche sollten wir sie auch belassen. Ein zutraulicher Fuchs kann nämlich ganz schön frech werden und sogar ins Haus eindringen, um sich dort über die Vorräte herzumachen. Und die Gefahr, sich mit einem Fuchsbandwurm zu infizieren, ist auch ziemlich groß - obwohl das menschliche Immunsystem diese Infektion normalerweise gut abpuffern kann."
Während die Füchse bislang also nicht weiter negativ aufgefallen sind, sieht die Sache bei Mardern schon etwas anders aus. Besonders Steinmarder nützen das überreiche Nahrungsangebot in der Stadt gerne - und für Spiel und Spaß ist auch gesorgt. Wovon Autobesitzer ein Lied singen können, denn Kabel und Leitungen durchzunagen macht zwar den kleinen Räubern Spaß, den Autofahrern naturgemäß aber weniger. Und falls es einmal auf dem Dachboden besonders laut rumpeln sollte, dann kann auch das ein Anzeichen dafür sein, dass sich ein Steinmarder häuslich eingerichtet hat.
Perfekt angepasst
Eher stille, unauffällige Stadtbewohner sind neben Turm- und Wanderfalken auch Igel und Wildkaninchen. Von den in Mauernischen lebenden Falken bekommt der Städter ziemlich wenig mit und auch die Wildkaninchen sind ausgesprochen scheue Mitbewohner. Einem Igel kann man allerdings schon öfter begegnen, wobei man sie im Herbst nicht unbedingt einsammeln sollte: "Igel können problemlos im Freien überwintern, die muss man nicht verhätscheln. Ist es allerdings ein sehr junges, schwaches Tier, dann empfiehlt es sich natürlich, es in geeignete Hände zu übergeben, damit es den nächsten Frühling erlebt", rät Arnold.
Auch Rehe sind scheue, aber zahlreiche städtische Mitbewohner, sie trifft man allerdings höchstens in den Randbezirken, wo sie schnell wieder im angrenzenden Wienerwald verschwinden können. Auch ihre Bestände wachsen rasch, was die Chance erhöht, öfter einem von ihnen zu begegnen.
Achtung, Wildschwein!
Das bereits angesprochene Wildschwein, das es sich mitten auf dem Gehweg gemütlich macht, ist nur eines von vielen, weiß Arnold: "Seit den 1950er Jahren steigen die Bestände exponentiell, denn Wildschweine werden nicht in dem Ausmaß bejagt, das die Zahl der Tiere regulieren würde, und der Klimawandel mit den milden Wintern tut ein Übriges, ihre Vermehrung zu beschleunigen und ihr zahlreiches Überleben zu sichern." Also machen sie sich mit Begeisterung über Gärten in den Außenbezirken her, die sie mit ihren kräftigen Schnauzen ordentlich umwühlen. Die vorangegangenen Mühen liebevoller menschlicher Gartengestaltung sind ihnen dabei völlig egal.
Es gibt Überlegungen, eine "Antibabypille" für Wildschweine einzuführen, doch Arnold hält diese Methode für äußerst fragwürdig, da die dadurch ausgelöste Unfruchtbarkeit auch auf das Hausschwein übergreifen könnte, "und das ist ja nun nicht erwünscht." Doch dieses Übermaß ruft andere Tiere auf den Plan, die sich langsam und scheu nach Österreich zurückwagen und die bereits in früheren Zeiten für eine ökologisch verträgliche Zahl an Schalenwild (Wildschweine, Hirsche und Rehe) und damit ein ökologisches Gleichgewicht gesorgt haben: die großen Beutegreifer wie Wolf, Bär oder Luchs. "Wenn das Nahrungsangebot so überreichlich ist, wird der Einwanderungsdruck für Raubtiere größer und vor allem nachhaltig." Dass wir Meister Isegrimm oder Meister Petz deshalb aber demnächst auf einer der großen Wiener Einfahrtsstraßen sehen werden, kann man mit Sicherheit ausschließen.
Dass in Zukunft noch mehr Wildtiere in die Stadt einwandern werden, davon ist Arnold überzeugt. Die Vorteile, im urbanen Raum zu leben, überwiegen, was für sie gefährlich ist, erkennen sie bald und lernen rasch, etwa dem Straßenverkehr, aber auch den Menschen auszuweichen. "Sie werden eines natürlichen Todes sterben, aber sie werden wesentlich älter werden als in der freien Natur." Dass sie sich selbst an hohe Lärmbelastungen gewöhnen, beweist ein Foto: "Darauf ist ein Rudel Hirsche zu sehen, das gemütlich auf einem Truppenübungsplatz neben feuernden Panzern liegt und wiederkäut", findet Arnold die Anpassungsfähigkeit von Wildtieren immer wieder erstaunlich. Dass sie dabei den Menschen als Teil dieses Lebensraumes bedingungslos akzeptieren und integrieren, ist ebenso erstaunlich, denn umgekehrt ist das wohl nicht so: Die tierischen Einwanderer scheinen weniger Probleme zu haben, sich an den Menschen zu gewöhnen, als umgekehrt.
Buchtipp.
Nordamerikanische Waschbären tummeln sich in Europa, afrikanische Dromedare weiden Australien ab und asiatische Würgeschlangen lehren Florida das Fürchten: Warum Tiere und Pflanzen nicht dort bleiben, wo sie ursprünglich beheimatet sind, und welche Auswirkungen ihr Auswandern auf die Bewohner ihrer neuen Heimat hat, beschreibt der deutsche Biologe Mario Ludwig auf fundierte und dennoch unterhaltsame Art und Weise. 31 Tier- und Pflanzenarten stehen stellvertretend für die vielen, die seit Jahrhunderten, heute und weiterhin mehr oder weniger freiwillig eine Reise antreten, die sie nicht mehr zurückführt. Eine spannende und überraschende Bestandsaufnahme eingebürgerter Exoten.
"Invasion" von Mario Ludwig, Ulmer Verlag, ISBN 978-3-8001-6947-4, 15,40 Euro.