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"Stadtguerilla" gegen das Sparpaket - Athen exportiert heimischen Terror

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Dass griechische Paketbomben gerade jetzt in die Zentren der europäischen Macht geschickt werden, ist wohl kein Zufall. Am kommenden Sonntag und den Sonntag darauf finden in Griechenland Kommunal- und Regionalwahlen statt, und Ministerpräsident Giorgos Papandreou macht daraus auch gleich eine Vertrauensabstimmung über sein drakonisches Sparprogramm. Bei einer Niederlage seiner Sozialisten droht er mit Neuwahlen.


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Die Gewerkschaften laufen seit Monaten Sturm gegen den eisernen Sparkurs, den sie dem Land von den Europäern aufgezwungen sehen. Und hier ähnelt der Befund offenbar dem der linksautonomen Szene, die in Griechenland seit Jahren präsent ist. Die Bomben, deren Verschickung ihr zur Last gelegt wird, gingen an jene, die Griechenland zur Rettung des Euro ein striktes Budgetsanierungsprogramm verordnet haben: An die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland und Italien, aber auch an Europol und den Europäischen Gerichtshof. Die Botschaft des Bankenzentrums Schweiz war gleichfalls dabei.

Dass auch die Botschaften der Niederlande und von Bulgarien Bomben zugesendet bekamen, zeigt, dass ihre Erbauer in der Auswahl ihrer Ziele recht planlos vorgehen. Das passt zu den vagen Feindbildern der Linksautonomen, die als solche Kapitalismus, Imperialismus oder schlicht "das System" benennen.

Die Autonomen sehen sich gern in der Tradition des Widerstandes gegen die Militärjunta, die von 1967 bis 1974 das Land regierte. Alljährlich gedenken sie mit Krawallen des 17. November 1973, an dem die Diktatur eine Studentenrevolte in Athen blutig niederschlug. Auch eine Terrorgruppe, die nach der Entmachtung der Obristen US-Offiziere tötete und Bomben legte, benannte sich nach diesem Datum. 2003 wurde der "17. November" zerschlagen, heuer erlitt die Nachfolgeorganisation "Revolutionärer Kampf" das gleiche Schicksal. In der Szene tauchen aber immer wieder neue Namen von Gruppen auf, die sich wie einst die deutsche RAF als "Stadtguerilla" sehen, wie eben jetzt die "Zellen des Feuers".

Einen Anschub bekamen ihre Aktivitäten durch den Tod eines 15-Jährigen im Dezember 2008, der im links-alternativen Athener Stadtteil Exarchia von einem - mittlerweile zu lebenslang verurteilten - Polizisten erschossen wurde. Tagelange Ausschreitungen folgten, ein Polizist wurde erschossen. Das Sparpaket bot einen neuen Anlass zum Protest, der sich nun nach außen wendet. Die Bombenpakete werden aber selbst von denen verurteilt, die sonst gegen das EU-Diktat auftreten.

Siehe auch:Kritik am EU-Flickenteppich