Während Donald Trump die weltweite Berichterstattung über die USA dominiert, wird gern übersehen, wie sehr Städte die Innenpolitik der USA prägen - im Fall von Los Angeles im Guten wie im Bösen.
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Der Präsident fand wie gewohnt drastische Worte. Die Situation sei "völlig außer Kontrolle": "Was hier passiert, ist eine einzige Peinlichkeit. Das kann so nicht weitergehen." Ausnahmsweise zielte Donald Trump diesmal nicht auf die Befürworter seiner Amtsenthebung oder die Verteidigung der zahllosen Korruptionsaffären ab, in die wahlweise er, seine Familie, seine Kabinettsmitglieder oder seine Parteifreunde verwickelt sind.
Mitte September besuchte der US-Präsident für zwei Tage Kalifornien, den mit rund 40 Millionen Einwohnern mit Abstand größten US-Bundesstaat. Auf dem Programm standen Visiten bei Großspendern, unter anderem in Palo Alto, wo Facebook sein Hauptquartier hat, und in Beverly Hills, dem vielleicht berühmtesten Nobelvorort der Welt. Nach Trumps Ermessen ein würdiger Rahmen für folgende Botschaft: "Wir dürfen es Los Angeles, San Francisco und zahlreichen anderen Städten nicht erlauben, sich selbst zu zerstören." Worum es dem 71-jährigen Ex-Reality-TV-Star bei seiner Kritik ging? Die Obdachlosenkrise, die diese Städte seit dem großen Finanzcrash 2008 heute fester im Griff hat denn je.
Wobei Trump weniger an die unmittelbar Betroffenen dachte als an die, die seiner Meinung nach am meisten unter der Situation leiden: "Die Leute, die in den Häusern dieser prestigeträchtigen Adressen wohnen, zahlen unglaublich hohe Steuern. Und jetzt campieren vor ihren Eingängen hunderte Obdachlose in Zelten!" Darüber, was angesichts dieses bedauerlichen Zustands zu tun sei, hatte der Präsident indes nichts zu sagen. Die Gründung einer von ihm angekündigten Task Force zum Thema Obdachlosigkeit harrt bis heute ihrer Materialisierung.
Trump bewies nur einmal mehr, wie perfekt er das mediale Klavier zu bespielen weiß: Auf ein paar so provokante wie sinnentleerte Sager folgt ein Tag Aufregung, während er sich aufs Wesentliche konzentriert - auf seinem Kurztrip sammelte er 15 Millionen Dollar für seine Wiederwahl-Kampagne ein -, und schon am nächsten fragt keiner mehr nach. Eine Strategie, die nicht nur nach innen, sondern auch nach außen wirkt.
Kaum ein Medium auf der Welt, das sich nicht täglich seiner spontanen Ausbrüche annimmt. Aber während Trump die US-Berichterstattung prägt wie kein Präsident vor ihm, wachsen in seinem Schatten zahlreiche lokalpolitische Initiativen, die sich ideologisch wie sachpolitisch dem Widerstand gegen seine Politik verschrieben haben. Die Führungsrolle bei dieser Entwicklung nehmen die Städte ein, deren Politik mit jener des Bundes bisweilen in einem Ausmaß kontrastiert, das der Entfernung zwischen Trumps Tweets und der Wahrheit entspricht. 2016 gaben ihm nur knapp mehr als 30 Prozent der Einwohner Kaliforniens ihre Stimme - das zweitschlechteste Ergebnis eines US-Präsidentschaftskandidaten aller Zeiten. Insofern ist es auch kein Zufall, dass Trump regelmäßig den Golden State und im Besonderen Los Angeles ins Visier nimmt.
Kontrast zur US-Bundespolitik
In L.A. County mit seinen zehn Millionen Einwohnern war es gar noch schlimmer: Mit 22,4 Prozent brachte es Trump dort nicht einmal auf ein Viertel aller abgegebenen Stimmen. Das, obwohl ebendort die Zahl der Obdachlosen schon damals neue Rekorde zeugte. Heute steht sie bei rund 59.000, Tendenz stark steigend. (Der Vollständigkeit halber: San Francisco ist nicht nur deshalb ein weniger dankbares Ziel von Trumps Zorn, weil es mit nicht einmal einer Million Bewohnern verhältnismäßig klein ist. Wie im vergangenen Wahlkampf klar wurde, hat die Mehrheit der dort ansässigen Tech-Entrepreneure kein Problem mit ihm. Im Gegenteil: Social-Media-Regenten wie Mark Zuckerberg haben bereits durchblicken lassen, ihn 2020 mehr oder weniger offen zu unterstützen.)
Los Angeles gibt sich heute mehr Mühe denn je zuvor zu zeigen, dass Politik gegen Washington nicht nur möglich, sondern notwendig ist. Was den realen Einfluss auf das Leben der Menschen in der südkalifornischen Metropole angeht, schlägt sich das vielleicht am sichtbarsten in der Verkehrspolitik nieder. Auch wenn aus L.A. in diesem Jahrhundert kein Wien oder Amsterdam mehr wird, hat sich die öffentliche Infrastruktur in den vergangenen 20 Jahren - nicht zufällig zeitgleich mit der Abwahl des letzten republikanischen Bürgermeisters, der wie heute die Trump-Administration den Individualverkehr forcierte - massiv verbessert.
Entgegen seinem Ruf funktioniert das aus Zügen, Bussen, Straßenbahnen und einer U-Bahn bestehende und seit Mitte der 2000er Jahre stetig im Ausbau befindliche öffentliche Verkehrssystem von L.A. County nicht nur weitgehend, sondern ist auch erschwinglich. Eine Monatskarte kommt auf 100 Dollar, für Geringverdiener auf 76. Für Schüler, Studenten und Senioren gibt es jeweils auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene, ermäßigte Tarife. Die Hoffnung, dass durch Rideshare-Services wie Lyft und Uber weniger Autos fahren würden, hat sich indes nicht erfüllt. Wie mehrere unabhängige Studien beweisen, sorgen ihre Services sogar für noch mehr Verstopfung auf den Freeways. Das Problem, unter dem der öffentliche Verkehr leidet: die enormen, manchmal geradezu absurden Abstände zwischen den Abfahrtszeiten, die nachts manchmal eineinhalb bis zwei Stunden betragen können.
Musterstadt für Radfahrer
Selbst für Radfahrer bietet Los Angeles mittlerweile ein bescheidenes, aber nichtsdestoweniger beachtliches Angebot. Wer Zeit und Lust hat, kann heute ganzjährig und ungestört entlang des L.A. River von Burbank im Nordosten bis nach Long Beach im Südwesten radeln. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Radwegen, die quer durch die L.A. durchziehenden Hügel und die umgebenden Bergketten führen und ebenfalls in den vergangenen zwei Jahrzehnten massiv ausgebaut wurden - keine Kleinigkeit eingedenk der hundertjährigen Geschichte von Los Angeles als ausschließlich auf die Bedürfnisse der Autoindustrie ausgerichtetes urbanes Gebilde.
Die mit solchen Verbesserungen einhergehende Steigerung der Lebensqualität hat indes auch ihre Schattenseiten und führt zur scheinbar endlosen öffentlichen Thematisierung einer Unzulänglichkeit, der die Politik nicht und nicht Herr wird. Die moderne Geißel von L.A. (wie die fast aller Großstädte an den Küsten) lautet Gentrifizierung, und die stetig steigende Obdachlosigkeit bildet nur eines ihrer Symptome.
Prestigeobjekte zählen mehr
Auf die massive Verdrängung alteingesessener Bewohner - in der Regel Angehörige von Minderheiten -, die sich dem neuen Normalzustand beugen und ins Hinterland ziehen müssen, finden linksliberale Stadtpolitiker wie Bürgermeister Eric Garcetti oder die vier Demokraten im fünf Mitglieder zählenden, im Vergleich zum Rathaus ungleich mächtigeren Los Angeles County Board of Supervisors bis heute keine Antwort. Wollen sie auch gar nicht, wie längst nicht nur böse Zungen behaupten, weil sie in puncto Wählerstimmen nicht darauf angewiesen sind und sich stattdessen auf Prestigeprojekte wie Elon Musks unterirdischem Verkehrstunnel in Hawthorne, die vielen neuen Kunstmuseen in Downtown und die Olympischen Sommerspiele 2028 konzentrieren können.
An der zum Himmel schreienden Doppelmoral, die in diesem Zusammenhang im kollektiven Bewusstsein der rechten Reichshälfte der USA herrscht, ändert diese Problematik aber nichts. Während heute jeder im Kongress sitzende Hinterwäldler, der sich zur "Vorherrschaft der weißen Rasse" bekennt, für das Anschütten der sogenannten "Coastal Elites" von seinen konservativen Parteifreunden Beifall bekommt, darf sich kein liberaler Politiker auch nur ansatzweise erlauben, über den Süden oder den Mittleren Westen auch nur ein böses Wort zu verlieren, wenn er seine Karriere nicht gefährden will. Selbst wenn wohl niemand mehr das Label "Sozialschmarotzer" verdient als der Großteil der dort lebenden Trump-Wähler: Ohne kräftige Subventionen des Bundes mit jenem Geld, das an Orten wie Los Angeles erwirtschaftet wird, wären Bundesstaaten wie Mississippi, Arkansas, Alabama oder Kentucky kaum überlebensfähig.