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Trotz politischen Stillstands im Land wächst die Hauptstadt des Iran rasant - mit allen dazu gehörenden Problemen, wie verstopften Straßen, schlechter Luft und Ausverkauf an Investoren.
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Mit den Wahlen im Frühjahr dieses Jahres geht jene Dekade zu Ende, der Mahmud Ahmadinedschad seinen Stempel aufgedrückt hat - zunächst, ab 2003, als Bürgermeister der Millionenmetropole Teheran und dann, ab 2005, als iranischer Staatspräsident.

Seine ultrakonservative Gesinnung tat er bereits als Kommunalkpolitiker kund, als er durch aktionistische Maßnahmen wie die Schließung von Fast-Food-Restaurants oder das Verbot von David Beckham-Postern im öffentlichen Raum Ikonen der westlichen Gesellschaft aus der Hauptstadt verbannte. Mit dieser Grundhaltung schaffte er dann zwei Mal die - wie fair auch immer verlaufene - Wahl zum Regierungschef.
Das Ende seiner Karriere besiegelte jedoch bereits vor zwei Jahren ein Disput mit dem faktischen Staatsoberhaupt, dem Obersten Rechtsgelehrten Ali Khamenei, was Ahmadinedschad schon 2012 seinen Rückzug aus der Politik ankündigen ließ. Dass die politische Eiszeit, die auf das Tauwetter, welches zwischen 1997 und 2005 unter Staatspräsident Mohammed Khatami geherrscht hat, folgte, damit endet, ist freilich nicht zu erwarten. Zu fest hält die islamistische Elite die politischen, juristischen, militärischen und wirtschaftlichen Zügel in der Hand. So blickt der 75 Millionen-Einwohner-Staat mittlerweile auf drei Jahrzehnte gesellschaftlicher wie kultureller Unterdrückung und Stagnation zurück.
Geschätzte 15 Millionen
Der "Abstimmung der Bevölkerung mit den Füßen" hatte das Zwangsregime aber dennoch nichts entgegenzusetzen: Die global zu beobachtenden Umwälzungen, insbesondere in Schwellenländern mit einem dramatischen Bedeutungsverlust der ländlichen Räume und einem Boom der Zen-tren, erfassten auch Persien. So zählte seine Hauptstadt 1979, als Ayatollah Ruhollah Musavi Khomeini als Revolutionsführer die "Islamische Republik Iran" ausrief, mit fünf Millionen Einwohnern zwar bereits zu den größten Metropolen der Welt, galt dank seiner großzügigen Anlage aber noch als gut funktionierender Ballungsraum - wovon heute längst keine Rede mehr sein kann.
Innerhalb der Stadtgrenzen blieb das Bevölkerungswachstum mit heute 8,8 Millionen Einwohnern zwar relativ überschaubar. Faktisch erstreckt sich Teheran mit geschätzten 15 Millionen Einwohnern inzwischen aber bis an die Grenzen der gleichnamigen Provinz.
Mit Ausbruch des neun Jahre dauernden Ersten Golfkriegs 1980 setzte eine bis heute währende Landflucht ein, der Politik und Wirtschaft kein auch nur annähernd adäquates Wohnbauprogramm gegenüberzustellen vermochten. Die Wohnungsknappheit in Teheran führte alsbald zu einem enormen Anstieg der Miet- und Immobilienpreise, sodass sich die meisten Zuwanderer im günstigeren Stadtumland ansiedelten, ohne dass es dort zu einer entsprechenden Nachrüstung mit Infrastruktur, sozialen Einrichtungen oder auch Arbeitsstätten gekommen ist.
Wie viele Menschen täglich in die Kernstadt strömen, weiß niemand so genau. Hunderttausende kommen allein aus dem 30 Kilometer entfernten Karadsh - noch vor 20 Jahren eine Kleinstadt, heute ein Siedlungsbrei mit drei Millionen Einwohnern, der als "größte Schlafstadt der Welt" gilt.
Gewiss ist dagegen, dass die meisten Einpendler mit Autos oder Bussen ins Zentrum fahren. Im Unterschied zur demografischen Entwicklung ist die Zunahme der Motorisierung Teherans exakt dokumentiert: Rund 230.000 zusätzliche Pkws pro Jahr verschärfen die Situation in der von vier Millionen Autos und ebenso vielen Motorrädern ohnehin schon verkehrsüberlasteten Stadt noch weiter. Dabei ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes ein durch und durch modernes Gebilde, das nicht von verwinkelten Altstadtgassen, sondern einem Raster von breiten Straßen durchzogen ist. Trotzdem sind selbst am späten Abend noch fünfspurige Einbahnen heillos verstopft.
Die Automassen haben jegliches Leben aus dem öffentlichen Raum verdrängt: Vielenorts bilden hohe Fußgängerbrücken die einzige Möglichkeit für Passanten, die Fahrbahn sicher zu überqueren - allerdings nicht für Alte, Behinderte oder Mütter mit Kleinkindern. Und Radfahren, ja selbst Motorradfahren gilt in Teheran als Vabanquespiel. "Der Verkehr hat totale Formen angenommen", schildert die Architektur- und Stadtplanungspublizistin Soheila Beski die dramatische Entwicklung. "Die vielen Autos haben Teheran so groß und gleichzeitig aber auch so klein gemacht, dass man an einem Tag nirgendwo anders mehr hinfahren kann als von zu Hause zur Arbeit und wieder zurück." Damit bringt der Autoverkehr die Stadt um das, was sie eigentlich attraktiv macht: ihr vielfältiges Angebot, die kurzfristige Erreichbarkeit aller erdenklichen Ziele.
Zahllose Rußschleudern
Noch schwerer wiegen die Folgen für Umwelt und Gesundheit. Die vorherrschende Wetterlage in Teheran heißt seit Jahren Smog. So gilt der erste morgendliche Blick vieler Bürger den über 5000 Meter hohen Gipfeln des Alborzgebirges, über dessen Abhänge sich die iranische Hauptstadt erstreckt. In den südlichen, auf 1100 Meter Seehöhe liegenden Stadtteilen nimmt man die schneebedeckten Bergspitzen ohnehin meist nur schemenhaft wahr. Ist die nahe Gebirgskette aber auch in den nördlichen, reicheren Wohnvierteln auf bis zu 1800 Höhenmetern kaum sichtbar, empfiehlt es sich, zumindest die Kinder im Haus zu lassen.
Selbst von offizieller Seite ist von jährlich 10.000 Todesfällen infolge Luftverschmutzung die Rede. Die Gegenmaßnahmen der Stadtregierung beschränken sich im Wesentlichen auf eine Prämie für jene, die ihr altes Auto durch ein neues ersetzen. Dass die zahllosen Rußschleudern Marke Paykan (ein Modell aus den 1960er Jahren!) oder Peugeot 405 deshalb von den Straßen verschwinden, ist allerdings eine Illusion. Bei subventionierten Spritpreisen von 25 Cent pro Liter ist ein fahrbarer Untersatz auch für weniger begüterte Teheraner erschwinglich - ja für zig-Tausende, die sich als illegale Taxifahrer ihr Geld verdienen, sogar lebenswichtig.
Ihre Dienstleistung kompensiert das unzureichende Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln in Teheran. Omnibusse stecken noch länger im Stau als private Fahrzeuge, da sie nicht spontan auf weniger überfüllte Routen ausweichen können. Das Metro-Netz der Megacity wiederum beschränkt sich auf drei in den letzten Jahren fertiggestellte Linien und eine noch in Bau befindliche - sowie auf die Regionalbahn nach Karadsh.
"Eine seriöse Verkehrspolitik für den Großraum Teheran gibt es ebenso wenig wie eine brauchbare Siedlungspolitik für die Agglomeration", urteilt Firuz Tofigh, vor der Machtübernahme Khomeinis 1979 Minister für Stadtentwicklung. Seit 2002 leitet er das neu gegründete Center of Planning and Studies, das für Teheran eine strategische Stadtentwicklungs-, Verkehrs- und Umweltpolitik erarbeiten soll. "Eine solche Einrichtung bestand schon vor der Revolution, als die Planungsbehörde noch sachlicher arbeiten konnte. Seit 1979 wird die Stadtentwicklung aber von der Politik dominiert - und deren Ad-hoc-Lösungen, die an den realen Problemen der Stadt vorbeigehen."
Die langfristig größte Gefahr sieht der Planer im Bodenverbrauch durch das rasante Wachstum der Agglomeration. "Nur 15 bis 20 Prozent des Staatsgebiets sind überhaupt fruchtbar - insbesondere das Umland der gewachsenen Zentren, die natürlich dort entstanden sind, wo es ausreichend Ackerland gab", erklärt Tofigh. "Damit frisst die Ausdehnung unserer Stadtregionen die kostbarsten Böden auf." Teheran und Karadsh sind beinahe schon zusammengewachsen. Gemeinsame Planungen gestalten sich deshalb aber nicht leichter, zumal die iranische Hauptstadt keinerlei Einfluss auf die umgebenden Städte und Provinzen hat.
Wirkliche Verbesserungen sind für Jahanshah Pakzad, Professor für Stadtgestaltung, der sein Studium in Deutschland absolvierte, nur durch eine Demokratisierung der Stadtplanung möglich: "Vor einigen Jahren wurde den Stadtbezirken bis hinunter zu den einzelnen Neighbourhoods mehr Selbstbestimmung eingeräumt - allerdings nur auf dem Papier. Denn die direkten Wahlen der lokalen Ratsversammlungen fanden bis heute nicht statt." Der Sieg der Konservativen bei den Kommunalwahlen 2003, die Ahmadinedschad zum Bürgermeister machten, ließ auch in der Stadtentwicklung jene Aufbruchsstimmung, die unter Staatspräsident Khatami geherrscht hatte, abklingen - und die urbanistischen Missstände weiter bestehen.
Hochhaus-Wildwuchs
"Das grundlegende Übel ist der Ausverkauf Teherans an Investoren und Spekulanten, der 1987 unter Bürgermeister Karbastshi begann und bis heute andauert", kritisiert Jahanshah Pakzad. "Dadurch verliert die Stadt mehr und mehr ihren Charakter." In Karbastshis Amtszeit fielen u. a. der Bau monströser Stadtautobahnen, dem etwa ein ganzer Bezirk südlich des Bazars geopfert wurde, sowie der Bau zahlreicher, oft spekulativ errichteter Hochhäuser, die in völligem Wildwuchs traditionelle Strukturen zerstörten.
"Wenn die Pläne für ein Gebiet eine Überbauung von maximal 100 Prozent vorsahen, ein Projektwerber aber eine Dichte von 400 Prozent wollte, erhielt er gegen eine entsprechende Abgeltung flugs die gewünschte Genehmigung", illustriert Professor Pakzad Stadtplanung à la Teheran.
"Andererseits", relativiert der aus Teheran stammende und heute in Wien lebende Architekt Nariman Mansouri vom Verein "X-CHANGE", "sorgte Karbastshi für die Errichtung von Kulturzentren und öffentlichen Parks, wodurch auch ärmere Bezirke aufgewertet wurden." Kennzeichnend sei in jedem Fall seine "pragmatische" Vorgehensweise gewesen, oft informell und an den Mühlen der Bürokratie vorbei. Dies erlaubte ihm, die im Iran übliche Vorlaufzeit von Großprojekten von durchschnittlich 14 Jahren merklich zu verkürzen, brachte aber schließlich den allmächtigen Staatsapparat gegen ihn auf: 1998 wurde der eigenwillige Kommunalpolitiker wegen "Missbrauchs öffentlicher Mittel" und "schlechter Amtsführung" zu fünf Jahren Haft, 60 Peitschenhieben sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt - und mit einem zwanzigjährigen Betätigungsverbot in öffentlichen Ämtern bestraft.
Reinhard Seiß ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.