Ursula von der Leyens EU-Kommission kann nach dem positiven Parlamentsvotum am Sonntag ihre Arbeit aufnehmen.
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Ihre Rede schloss sie so, wie ihr Vorgänger seine vor einigen Wochen. "Vive l’Europe!", hatte der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei seinem Auftritt im EU-Parlament gerufen. "Es lebe Europa!", sagte auch Ursula von der Leyen am Mittwochvormittag vor den EU-Abgeordneten in Straßburg. Wenige Stunden später haben diese ihr Team bestätigt. 461 Mandatare votierten für die neue EU-Kommission, 157 sprachen sich dagegen aus, und 89 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. Damit kann das 27-köpfige Gremium am Sonntag seine Tätigkeit aufnehmen.
Das ist einen Monat später als ursprünglich geplant. Denn die Volksvertretung hatte einige Kommissionskandidaten abgelehnt. Auch der geplante EU-Austritt Großbritanniens hatte zu Unsicherheiten geführt. Doch mittlerweile ist fix, dass London keinen Vertreter nach Brüssel schickt. "Lasst uns an die Arbeit gehen", befand daher von der Leyen und kündigte einen Wandel in Europas Gesellschaft und Wirtschaft an. "Wir tun das, weil es das Richtige ist, nicht, weil es einfach sein wird", stellte sie im Abgeordnetenhaus klar.
Die größten Herausforderungen in den kommenden fünf Jahren ortet sie in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung. Schon vor Monaten, nach der Bestätigung ihrer Nominierung, hatte sie in ihrem Arbeitsprogramm den Wunsch geäußert, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Ebenso bekräftigte von der Leyen das Ziel, die Blockade in den Debatten um eine gemeinsame Asylpolitik aufzulösen.
Lobesworte für Juncker
Einen Wandel wird es aber auch in der Kommission geben. Noch nie waren dort fast so viele Frauen wie Männer vertreten - und noch nie stand der Behörde eine Frau vor. Jedoch ändert sich fürs Erste nichts an den Problemen, die die EU angehen muss. Diese reichen von der Asylpolitik über den geplanten und aufgeschobenen EU-Austritt Großbritanniens bis hin zu den unterschiedlichen nationalen Interessen der Regierungen, mit denen von der Leyen zusammenarbeiten muss.
Trotzdem demonstriert die ehemalige Verteidigungsministerin jede Menge Enthusiasmus, wenn es um ihre neue Aufgabe geht. Gern streicht sie hervor, dass sie selbst in Brüssel geboren wurde und sich zunächst einmal als Europäerin gesehen hat. Mit den Brüsseler Gepflogenheiten, wie dem ständigen Wechsel der Sprachen, versteht sie umzugehen.
Zumindest das hat die Deutsche mit ihrem Luxemburger Vorgänger gemein. Diesem galt in der EU-Volksvertretung denn auch einer ihrer ersten Sätze. Von der Leyen bedankte sich bei Juncker, den sie als einen Europäer mit Herz und Seele bezeichnete - und mit überzeugtem Engagement.
Das lässt sich Juncker tatsächlich kaum absprechen. In den Jahrzehnten, die er als Finanz- und Premierminister tätig war, war er immer in EU-Politik involviert. Als eine Krise auf die andere folgte, war er in unterschiedlichen Funktionen in die Debatten um Lösungsmöglichkeiten eingebunden. Die nächtelangen Verhandlungen nahm er dabei oft gelassen hin. Und brachte damit außerdem andere manchmal zum Schmunzeln: Vor einigen Jahren, noch in seiner Funktion als Vorsitzender der Eurogruppe, trat Juncker irgendwann zwischen zwei und drei Uhr in der Nacht vor die Presse. Die Beratungen über ein Hilfspaket für Griechenland hatten sich wieder einmal in die Länge gezogen. Etwas müde und in leicht zerknittertem Anzug schaute Juncker in die Runde und entschuldigte sich dafür, dass die Journalisten so lange warten mussten. Dann fügte er leicht schulterzuckend hinzu: "Spätnachts ist halt spätnachts, und morgen scheint wieder die Sonne."
Ratspräsident als Mitstreiter
Lakonische Kommentare, Wortwitz und geschickt verpackte Kritik lösten bei Juncker einander ab. Von Inszenierung hielt er wenig, weit weniger als der Stab von der Leyens, der die Macht der Bilder bewusst einsetzen möchte. So wirkt die CDU-Politikerin nach außen kontrolliert und diszipliniert, doch weiß auch sie, wie wichtig die Überzeugungsarbeit hinter geschlossenen Türen ist - etwas, das Juncker fabelhaft beherrscht haben soll.
Einen Mitstreiter hatte er dabei oft genug in Donald Tusk. Der ebenfalls scheidende EU-Ratspräsident war das Bindeglied zu den Mitgliedsländern: Er leitete die Gipfelsitzungen der Staats- und Regierungschefs. Der Pole lotete aus, wie Ideen aus der EU-Kommission oder auch den Hauptstädten in Handlungsziele gegossen werden könnten.
Künftig wird das der Belgier Charles Michel tun. So wie von der Leyen kennt der ehemalige Premier den Umgang mit Amtskollegen bereits aus zahlreichen Brüsseler Runden. Damals waren die beiden Politiker allerdings in anderer Funktion unterwegs.