Nach sechs Monaten Ratspräsidentschaft reicht Österreich die Funktion an Rumänien weiter.
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Wien/Brüssel. Große Worte stehen am Anfang jeder Ratspräsidentschaft. Davor scheute auch Österreich nicht zurück, als es im Juli für ein halbes Jahr den EU-Vorsitz übernahm. Als "Brückenbauer" wolle das Land fungieren, mitbauen an einem "Europa, das schützt", kündigte Bundeskanzler Sebastian Kurz an. Am heutigen Freitag wird er die Funktion symbolisch in Bukarest übergeben. Denn Rumänien wird im kommenden Halbjahr den Vorsitz innehaben.
Die Bilanz der sechs Monate, die dazwischen lagen, fällt je nach Sichtweise unterschiedlich aus - auch darin ähneln sich die Ratspräsidentschaften. In Straßburg, wo in der vergangenen Woche das Plenum des EU-Parlaments tagte, fiel die Kritik teils harsch aus. Im Ratsgebäude im Brüsseler EU-Viertel, in dem die Staats- und Regierungschefs der Union zu ihrem Gipfeltreffen zusammengekommen waren, gab es dafür Lob. Von einem "energetischen" und "fokussierten" Vorsitz war die Rede; "umsichtig" und "zuhörend" hätten die Österreicher gearbeitet.
Doch der Fokus, den sich Österreich gesetzt hatte, sorgte auch für Kontroversen. Das liegt am Thema, das die EU seit Jahren spaltet: Migration und Grenzschutz. Dabei wollte Wien die bisher fruchtlose Debatte um eine Aufteilung von Asylwerbern gar nicht vertiefen, ebenso wenig konnte es eine Reform der Dublin-Regelung durchführen, wonach Asylanträge in jenem Land bearbeitet werden, in dem die Flüchtlinge erstmals EU-Territorium betreten haben. Allerdings drängte nicht zuletzt Kurz darauf, beim Ausbau der Grenzschutzbehörde Frontex schneller vorzugehen als ursprünglich geplant.
Das Ansinnen unterstützen zwar alle Mitgliedstaaten. Doch konnten sie sich nicht auf die Details einigen, und das Vorhaben wurde verschoben. Was EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dazu veranlasste, den Regierungen vorzuwerfen, "über Jahre und nicht nur in Sonntagsreden" einen stärkeren Grenzschutz zu fordern, dann aber keinen Kompromiss dazu zu finden. Er meinte damit nicht Österreich explizit, aber auch Innenminister Herbert Kickl hatte nach der Debatte mit seinen Kollegen darauf verwiesen, dass eine Frontex-Aufstockung nicht zu "Kapazitätsengpässen" im Inland führen dürfe.
Debatte um Migrationspakt
Offen kritisiert wurde die österreichische Regierung aber dafür, dass sie sich vom UN-Migrationspakt distanziert hat. In der EU-Kommission, in manchem Kabinett und bei oppositionellen EU-Abgeordneten stieß die Entscheidung auf Unverständnis. Parlamentarier warfen Kurz vor, "aus reinem innenpolitischen und populistischen Kalkül" die Vereinbarung abzulehnen. Das Ausscheren aus dem Migrationspakt wird denn auch wohl vom Vorsitz auf der negativen Seite in Erinnerung bleiben, meint Stefan Lehne von der Denkfabrik Carnegie Europe. Es löste nämlich eine Kettenreaktion bei anderen Ländern aus - Tschechien, Polen, die Slowakei und weitere lehnten das Dokument ebenfalls ab. "Damit wurde ein Projekt, das ein an und für sich sinnvoller Appell war, geschwächt", erklärt Lehne.
Anerkennung hingegen erhielt die Präsidentschaft dafür, dass sie eine sogenannte Verhandlungsbox für die langjährige Finanzplanung der EU vorgelegt hatte. Das ist eine Art Gesprächsleitfaden für die Arbeit am Budgetentwurf für die Jahre 2021 bis 2027. Zahlen sind darin freilich noch nicht enthalten, und die Verhandlungen selbst stehen erst an ihrem Anfang. Dennoch hat sie Österreich nun ein Stück vorwärtsgebracht.
Das ist nicht zuletzt einem erfahrenen Beamtenapparat zu verdanken, auf den Wien - auch - in Brüssel zurückgreifen kann und der von vielen Seiten Lob erhalten hat. Überhaupt kann sich eine Ratspräsidentschaft auf die Ressourcen der Brüsseler Maschinerie, in der alle EU-Institutionen zusammenlaufen, verlassen. Ihrem Spielraum sind aber gleichzeitig enge Grenzen gesteckt. Seit den institutionellen Reformen vor einigen Jahren leitet beispielsweise kein Land mehr die regulären Gipfelsitzungen, sondern der Ratspräsident.
Zudem fällt bei einigen der größten Themen ein Ratsvorsitz kaum ins Gewicht. Der EU-Austritt Großbritanniens, der in den vergangenen Monaten die Diskussionen dominierte, wird für alle verbleibenden 27 Staaten von einem Team rund um den Franzosen Michel Barnier verhandelt. Trotzdem könne eine Ratspräsidentschaft laut Lehne ihren Beitrag dazu leisten, indem sie die Einheit der 27 zu wahren helfe.
Weit gediehen
Sie werde jedenfalls "weniger an ihren Ankündigungen gemessen denn an konkreten Fortschritten", sagt der EU-Experte. Und obwohl es der letzte vollständige Vorsitz vor der EU-Wahl im Mai war, hat es auf technischer Ebene etliche Entscheidungen gegeben, wie die Einigung auf die Senkung von CO2-Grenzwerten für Fahrzeuge oder auf ein Verbot bestimmter Wegwerf-Plastikprodukte. Zwar erlahme der Elan am Ende des institutionellen Zyklus’ oft, stellt Lehne fest. Das sei aber diesmal nicht der Fall gewesen - auch deswegen, weil etliche Gesetzesvorhaben weit gediehen waren.