Die Hamas hat die Verwaltung des Gazastreifens samt vieler Probleme | nach zehn Jahren offiziell übergeben. Die Region ist ab jetzt in Händen der Fatah.
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Gaza/Wien. Zehn Jahre hat die radikalislamische Hamas den Ton im Gazastreifen angegeben (siehe Kasten), am Dienstag gab es nun eine Staffelübergabe an die größte Palästinenserorganisation Fatah. "Die Palästinenser sind wieder vereint, nun sind wir wieder stark", hieß es auf Transparenten und in Internetkommentaren auf sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Instagram. Die Freude war sichtlich groß, dass die palästinensische Regierung am Dienstag erstmals seit 2014 im Gazastreifen zusammengetroffen war. Ministerpräsident Rami Hamdallah eröffnete die Kabinettssitzung in Gazastadt mit der Absicht, den jahrelangen Machtkampf zwischen der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen und der Autonomiebehörde im Westjordanland zu beenden.
Schritt zur Einheitsregierung
Hamdallah war bereits am Montag im Gazastreifen eingetroffen und wurde wie ein Superstar gefeiert. Mehrmals traf er seither Hamas-Chef Ismail Haniyeh und den Regionalchef der Miliz im Gazastreifen, Yahia Sinwar.
"Wir sind gekommen, um der ganzen Welt aus dem Herzen des Gazastreifens zu sagen, dass der palästinensische Staat nicht ohne die Einheit von Gaza und Westjordanland entstehen wird", erklärte Hamdallah am Grenzübergang Erez. Begleitet wurde er in das Küstengebiet von einer 120-köpfigen Delegation aus dem Westjordanland. Die Hamas hatte bereits am Sonntag ihr Kulturministerium an die Regierung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas übergeben. Hamdallahs symbolträchtiger Besuch verdeutlicht die schrittweise Rückkehr der international anerkannten Autonomiebehörde in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen und einen Fortschritt bei der Versöhnung zwischen den beiden verfeindeten Lagern. Zugleich gilt die Visite als erster vorsichtiger Schritt hin zu einer palästinensischen Einheitsregierung. "Wir werden wieder nach Gaza kommen, um die Teilung zu beenden und Einigkeit zu erlangen", sagte der Ministerpräsident vor der frenetisch jubelnden Menge.
Fatah will "Leid lindern"
Als oberste Priorität gab Hamdallah an, "das jahrelange Leid der Menschen in Gaza zu lindern". Leid gibt es hier genug: Der Gazastreifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete, wo die Geburtenrate eine der weltweit höchsten ist. Derzeit leben dort mittlerweile knapp 1,9 Millionen Palästinenser. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt. Ein Großteil lebt in völliger Armut in Flüchtlingslagern. Mehr als 60 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung ist zudem arbeitslos.
Zu verdanken ist diese Versöhnung der beiden größten Palästinenserorganisationen unter anderem den Ägyptern, die in der Region als Mediator fungieren. Neben dem politischen Chaos und der internationalen und regionalen Isolation schlitterte der Gazastreifen in den zehn Jahren unter der Hamas an den Rand des wirtschaftlichen Abgrunds.
So musste die radikalislamische Organisation letztendlich nolens volens nachgeben und auf den von Kairo vorgeschlagenen "Kuhhandel" eingehen: Die Ägypter stellten mehr Hilfe und ein Ende der Blockade der Grenze des Gazastreifens in Aussicht, wenn die Hamas sich der Autorität Ramallahs und Präsident Mahmud Abbas’ unterordnet. Außerdem müsste die Hamas weg von ihrer Ideologie der Muslimbruderschaft gehen und eine Sicherheitskooperation gegen Dschihadisten mit Kairo eingehen.
Zwar gibt die Hamas nun an die Fatah die Macht de facto ab, ganz zurückziehen will sie sich aber nicht. Was bleibt, ist eine Menge Arbeit für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Der 82-Jährige ist herzkrank und muss neue Wahlen vorbereiten, die letztlich auch seine Nachfolge regeln sollen. Außerdem wird es in Gaza viele Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis die Infrastruktur wieder halbwegs funktioniert und die Arbeitslosigkeit sinkt.
Wissen
(af) Die nach der Fatah zweitgrößte Palästinenserorganisation Hamas ("Bewegung des islamischen Widerstandes), die radikalislamisch ausgerichtet ist, wurde 1987 als Ableger der Muslimbrüderschaft von Scheich Ahmed Yasin (der später von Israel getötet wurde) gegründet.
Zu den Grundstatuten der Gruppe gehört die Ablehnung des Existenzrechts Israels und die gewaltsame Errichtung eines islamischen Palästinenserstaates vom Mittelmeer bis zum Jordan. Zunächst trat die Organisation als Wohlfahrtsorganisation in Erscheinung und schuf ein vielschichtiges soziales Netz mit Kindergärten, Schulen, Suppenküchen und Arbeitsvermittlungen. Das brachte der Bewegung, die außerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) von Yasser Arafat blieb, hohes Ansehen innerhalb der verarmten palästinensischen Bevölkerung. Doch sehr bald zeigte die Hamas ihr wahres Gesicht und offenbarte in ihrer Charta von 1988, dass der "Heilige Krieg" die einzige Lösung zur Schaffung von Palästina sei.
Seitdem sie 2007 die alleinige Kontrolle über den Gazastreifen übernommen hat, aus dem sie die konkurrierende Fatah vertrieb, bereitete sich die Hamas intensiv auf die direkte Konfrontation mit Israel vor. Tödliche Terroranschläge auf Israelis waren Usus, zudem feuerte die Hamas tausende Raketen und Mörsergranaten auf Israel ab. Bei der dreiwöchigen israelischen Offensive zwischen Dezember 2008 und Jänner 2009 mit der Bezeichnung "Gegossenes Blei" waren mehr als 1400 Palästinenser getötet und über 5000 weitere verletzt worden.
Die Hauptsponsoren der Hamas waren über Jahre hindurch die sunnitischen Golfmonarchien und die Islamische Republik Iran. Als "besonderen Trumpf" ihrer Truppe sieht die Hamas im Kampf gegen Israel ihren bewaffneten Arm, die sogenannten "Ezzedin al-Qassam-Brigaden". Diese Miliz wird vom Westen als terroristische Vereinigung angesehen. Noch heute unterhält die Organisation enge Kontakte zu Damaskus und Teheran.
Ihr früherer politischer Führer Khaled Mashaal hielt sich meistens in Syrien auf. Im Jänner 2006 gewann die Bewegung die Wahlen zum palästinensischen Legislativrat mit absoluter Mehrheit. Ihren Sieg verdankten die Islamisten vielen Protestwählern, die der Fatah und dem PLO-Funktionärsapparat zügellose Korruption vorwarfen. Ismail Haniyeh, der Mashaal heuer im Mai nachfolgte, wurde Premier und schlug in einigen Reden moderatere Töne an. Wegen der Weigerung der Hamas, Israel anzuerkennen, stoppte der Westen die Finanzhilfen.
Nach dem Machtkampf 2007 erlangte die Hamas die alleinige Kontrolle über den Gazastreifen, Präsident Mahmoud Abbas löste daraufhin die Einheitsregierung unter Haniyeh auf und setzte zunächst ein Notstandskabinett ein. Die Fatah herrscht seit 2007 nur noch in den nicht von Israel verwalteten Teilen des Westjordanlandes. Ab Oktober 2017 soll die Fatah nun wieder alle Palästinensergebiete kontrollieren.