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Stalin steht noch in der Halle

Von Martyna Czarnowska

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Der Bildhauer Vladimir Metani war einer der Staatskünstler Albaniens. | Doch auch in seinem Land ist längst der Kapitalismus ausgebrochen.


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Die Tage der Halle sind gezählt. Gut 40 Jahre lang diente sie Vladimir Metani, dem Bildhauer, als Arbeitsplatz. Mit seinen Kollegen fertigte er dort Statuen und Denkmäler an, Abbilder von Enver Hoxha, Lenin und Stalin. Was von der Bronze übriggeblieben ist, verwendete er für seine eigenen Arbeiten: Statuetten, Figuren aus der Mythologie, Männerköpfe mit tiefen Furchen im Gesicht und gesenkten Augen.

Doch die Werkstatt unweit des Zentrums von Tirana soll abgerissen werden. Stattdessen sollen dort Apartmenthäuser hochgezogen werden. Auch in Albanien, dem Jahrzehnte abgeschotteten Land, das noch am Stalinismus festhielt, als sogar die Sowjetunion sich davon distanziert hatte, ist längst der Kapitalismus ausgebrochen. "Niemand interessiert sich mehr für Kunst", sagt Metani: "Alle wollen nur noch Business machen."

Als Staatskünstler habe er ganz gut leben können, erzählt der 60-Jährige mit den muskulösen Oberarmen und den silbernen Locken, die ihm auf die Schultern fallen. Heute aber verdiene er nicht mehr als ein Straßenkehrer. Die Statuen von Hoxha und Lenin sind von den öffentlichen Plätzen weggeräumt, bei der Zerschlagung mancher hat Metani mithelfen müssen. In der Halle steht noch ein Stalin, ein Koloss mit ausgestrecktem Arm, fast sieben Meter hoch und zehn Tonnen schwer. Doch gibt es da auch eine andere Statue: von Azem Hajdari. Er war einer der Studentenführer, die zum demokratischen Umbruch beitrugen. 1998 wurde er ermordet. Wo das Denkmal aufgestellt werden soll, darüber streiten Politiker noch.

Er selbst, erklärt Metani, interessiere sich nicht so für Politik. Seine Arbeit ist die Bildhauerei, seine Leidenschaft das Fischen. Er ist in albanischen Waisenhäusern aufgewachsen, hat die Fachschule für Gießerei in Tirana beendet, eine Familie gegründet, gearbeitet. Für das Gießen und Formen, nach einer schweißtreibenden Methode kaum anders als vor hundert, zweihundert Jahren, hat er Kraft gebraucht. Seine Tochter erinnert sich bis heute daran, wie viel Butter ihr Vater auf seine Brote geschmiert hat, bevor er in die Werkstatt gegangen ist. Sie war neidisch: Lebensmittel waren rationiert, jeder Familie wurde nur eine bestimmte Menge zugeteilt.

"Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sich Albanien in den letzten zwanzig Jahren verändert hat", erzählt Vladimir Metani Besuchern aus Westeuropa. Früher hätte er allein dafür ins Gefängnis kommen können, dass er mit Ausländern gesprochen hat, potenziellen Spionen. Und auch er selbst ist so manches Mal für einen Agenten gehalten worden, wenn er in den Bergen nahe der Grenze fischen war. Die Menschen durften nicht raus, sie waren in ihrem Land eingesperrt, Diktator Enver Hoxha und seine Paranoia regierten.

Metani war schon über 50, als er das erste Mal in den Westen fuhr - nach Österreich. Dort lernte er einen Polen kennen. Es freute ihn, ausgerechnet einen Osteuropäer zu treffen. Er wollte mit ihm auf Italienisch reden, ihm erklären, dass Albaner und Polen viel gemeinsam haben, dass sie sich immer durchkämpfen mussten. Doch der Pole verstand kein Italienisch.