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Stambolics Ende überschattet Djindjics Tod -eine Analyse

Von Wolfgang Libal

Politik

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Am Friedhof des Belgrader Villenvororts Topcider wurden am vergangenen Dienstag die sterblichen Überreste Ivan Stambolic, des Vorgängers von Slobodan Milosevic als Republik-Präsident von Serbien beigesetzt. Es war kein Staatsbegräbnis wie vor wenigen Wochen die Beisetzung Djindjics, aber die Spitzen der Regierungen von Serbien und Montenegro waren präsent. Trotzdem kommt der Aufdeckung der Ermordung Stambolics, was die Täter und die Einzelheiten der Tat betrifft, in ihren politischen Folgen eine größere Bedeutung zu als dem Attentat auf den serbischen Regierungschef der Post-Milosevic Ära. Auch wenn sie sozusagen ein Nebenprodukt der Verhaftung der Mörder Djindjics waren. Aber für die Auseinandersetzung der Serben mit ihrer Vergangenheit, also mit ihrem nationalen Selbstverständnis, sind sie von gewaltigen Folgen.

Die Gründe dafür liegen weniger in den Persönlichkeiten der Ermordeten als in den politischen Hintergründen ihrer Beseitigung. Djindjic, der Reformator nach der Ära Milosevic, war im Ausland populärer als in Serbien selbst. Er entsprach nicht dem traditionellen Bild eines serbischen Politikers, er war weltoffen und wollte sein Land von den zweifelhaften Bürden der Vergangenheit befreien. Dass er mit dem Kriegsverbrecher-Tribunal in den Haag zusammenarbeitet und Milosevic dorthin auslieferte, nahmen ihm viele "Patrioten" übel.

Ivan Stambolic, noch zu kommunistischen Zeiten Vorgänger und "Ziehvater" Milosevic, kam aus einem der zwei Klans, die nach dem 2. Weltkrieg das Sagen in Serbien hatten. Er hatte kein großes Charisma, aber er war eingebettet in das serbische politische und gesellschaftliche Milieu. Und er war politisch absolut integer.

Am 26. August 2000 wurde Stambolic, der politisch keine Rolle mehr spielte, beim Joggen gekidnappt und war seither spurlos verschwunden. Nun gab Ende März der derzeitige serbische Innenminister Dusan Mihajlovic bekannt, Stambolic sei von Angehörigen der Sonderpolizei "Rote Barette" entführt, ermordet und in einer mit frischem Kalk ausgelegten Grube in der Truska Cora, der Hügellandschaft nördlich von Belgrad, verscharrt worden. Die Überreste der Leiche seien gefunden worden. Den fünf Tätern seien von dem damaligen Chef der "Roten Barette", Milorad Lukovic, genannt "Legija", 100.000 Mark für die Tat ausgezahlt worden.

Diese Informationen erschütterten die serbische Öffentlichkeit beinahe mehr als das Attentat auf Djindjic am 12. März. Aus folgenden Gründen: Stambolic wurde noch unter der Herrschaft von Milosevic ermordet. Ob er oder seine Frau Mira Markovic die Tat angeordnet haben, wird wohl niemals einwandfrei geklärt werden können. Aber er oder beide mussten von ihr gewusst haben, denn der damalige Chef der Staatspolizei, dem die "Roten Barette" unterstanden, Rade Markovic, der die Ermordung Stambolics angeordnet hat, dürfte dies nicht ohne Wissen des Präsidenten getan haben.

Bisher haben nicht wenige Serben Milosevic als einen Verteidiger ihrer nationalen Interessen gesehen, der vom "Ausland" zu unrecht bekämpft wurde und dem ebenfalls zu unrecht in den Haag der Prozess gemacht wird. Jetzt müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass er von einem Mord nicht nur gewusst sondern die Tat gegenüber Politikern im In- und Ausland verschleiert hat. Mit anderen Worten: dass er ein Verbrecher ist. Oder wie der Publizist Stojan Cerovic es in der Wochenzeitung "Vreme" sagt: Sein (Milosevics) persönliches Schicksal braucht hier niemandem mehr zu interessieren. Seine Geschichten von den nationalen Interessen und den Ungerechtigkeiten der Welt haben jede Bedeutung verloren, seit wir wissen, dass sie aus dem Munde eines gewöhnlichen Mörders kommen".

Die Aufklärung des Falles Stambolic, ermöglicht durch die Verhaftung der Mörder Djindjics, hat auch noch, um es modernistisch auszudrücken, ein Kollateral-Ergebnis: für Vojislaw Kostunica, den Präsidenten der jetzt verschwundenen Bundesrepublik Jugoslawien nach Milosevic, dürfte es keine politische Zukunft mehr geben. Denn er hat die ablenkenden Erklärungen der Staatspolizei, Stambolic sei wahrscheinlich das Opfer der Drogen-Mafia geworden, einfach übernommen und nichts getan, um den Fall aufzuklären, obwohl er es in seiner Funktion hätte tun können.