)
Ethische Bedenken und Hinweise auf erhöhtes Krebsrisiko. | Wiener Experten sind skeptisch. | Wien. In den USA wird, weltweit zum ersten Mal, ein Patient mit Stammzellen aus menschlichen Embryonen behandelt. Wie die Gentechnik-Firma Geron Corporation am Montag mitteilte, wurde der Patient in einem Spital für Rückenmarks- und Hirnverletzungen in Atlanta im US-Staat Georgia für den klinischen Test ausgewählt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Eine Testreihe an mehreren querschnittsgelähmten Personen, die an einer ganz neuen Verletzung des Rückenmarks leiden, soll nachweisen, dass Stammzell-Behandlungen für Rückenmarksverletzungen verträglich und sicher sind. Binnen 14 Tagen werden den Patienten die aus den embryonalen Stammzellen gewonnenen Zellen eingespritzt. Man hofft, dass sich so die geschädigten Nervenzellen reparieren lassen und die Patienten Gefühl und Bewegungsfähigkeit zurückgewinnen.
"Völlig überrascht" von diesen Versuchen gibt sich der Wiener Genetiker Markus Hengstschläger (Medizin-Universität Wien). Er frage sich zweierlei: "Warum arbeitet man mit embryonalen Stammzellen und warum bei Querschnittslähmungen?" Erstens gebe es gute Gründe, auf embryonale Stammzellen zu verzichten, weil hier das Risiko von Krebsentstehung sehr hoch sei, und zweitens seien Querschnittslähmungen nicht das vorrangige Gebiet, auf dem man mit diesen Zellen Erfolge erzielen könne, auch wenn positive Versuche mit Mäusen vorlägen.
Dem Wiener Molekularbiologen Jürgen Knoblich (Institut für Molekulare Biotechnologie) "sind die jetzt angelaufenen klinischen Studien schon seit langem bekannt", sie würden aber unter Stammzell-Forschern sehr kritisch gesehen: "Sie dienen in erster Linie dazu, zu untersuchen, ob eine Therapie mit embryonalen Stammzellen überhaupt prinzipiell möglich ist. Man muss bei der Verwendung von Stammzellen aus Embryonen durch entsprechende komplizierte Verfahren ausschließen, dass diese Zellen wieder in das Embryonalstadium zurückfallen, also unkontrolliert wachsen und gefährliche Tumore, Teratome, bilden. Wenn nur ein einziger Patient bei diesen Versuchen Schaden leidet, wirft das die Stammzellenforschung unter Umständen um Jahrzehnte zurück."
Denn die Forschung auf diesem Gebiet ist ein sehr kontroversielles Thema. Die Gewinnung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen ist wegen ethischer Bedenken in etlichen Ländern, etwa in Österreich und Deutschland, gar nicht erlaubt. Die Stammzellen kommen ja vor allem von Embryonen, die bei künstlichen Befruchtungen übrig geblieben sind. Das wirft die je nach Weltanschauung unterschiedlich beantwortete Frage nach dem Anfang menschlichen Lebens auf.
Auch in den USA ist das Thema ein Politikum. Selbst Präsident Barack Obama konnte nur mühsam durchsetzen, dass Forschung mit embryonalen Stammzellen öffentlich gefördert werden darf. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte die weltweit erste Genehmigung für die Behandlung mit embryonalen Stammzellen am Menschen erst im Jänner 2009, knapp nach Obamas Amtsantritt, erteilt.
Die Zukunft gehört den pluripotenten Zellen
Laut Hengstschläger und Knoblich liegt die Zukunft aber nicht in den embryonalen Stammzellen, sondern in einer Entdeckung, für die es bald einen Nobelpreis geben könnte. Die "induzierten pluripotenten Stammzellen" (iPS), mit denen Forscher wie der Japaner Shinya Yamanaka und der Deutsche Hans Schöler arbeiten und die man bereits aus Körperzellen erwachsener Menschen herzustellen vermochte, sind Zellen, die in eine Art embryonalen Zustand verwandelt werden. Mit ihrer Hilfe sollen dereinst Ersatzorgane verschiedener Art gezüchtet werden können.
Auch Knoblich wundert sich, dass die Testreihe in den USA an Querschnittsgelähmten durchgeführt wird: "Aus heutiger Sicht sind die Aussichten auf Erfolg mit Stammzellen-Therapien bei anderen Krankheiten, etwa Diabetes, Parkinson, Muskeldystrophien, verschiedenen Hautleiden, viel größer als bei Rückenmarksverletzungen."