Arbeitnehmer sind auch bei grenzüberschreitendem Betriebsübergang geschützt.
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Anfang November 2011 wurde bekannt, dass der traditionsreiche österreichische Ueberreuter-Verlag nach Berlin übersiedeln wird. Nach Angaben der Geschäftsführung wolle man mit diesem Schritt "näher am deutschsprachigen Buchmarkt" sein. Insbesondere bei den Kinder- und Jugendbüchern habe sich der Standort Wien als Wettbewerbsnachteil gezeigt, da der Hauptmarkt für diese Programme in Deutschland liege. Die rund 30 Mitarbeiter wurden beim Arbeitsmarktservice (AMS) zur Kündigung angemeldet. Einem Großteil der Beschäftigten bot jedoch der Verlag nach eigenen Angaben eine Weiterbeschäftigung in Berlin an. Zu welchen Bedingungen dies geschah, ist nicht bekannt.
Grenzüberschreitender Betriebsübergang?
Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist dieser Fall höchst interessant, weil es sich um einen sogenannten "grenzüberschreitenden Betriebsübergang" handeln könnte. Die gesetzlichen Vorschriften zum Betriebsübergang sind von großer praktischer Bedeutung. Geht nämlich ein Betrieb von einem Arbeitgeber auf einen anderen Inhaber über, so kommt es von Gesetzes wegen zu einem Arbeitgeberwechsel. Der neue Betriebsinhaber tritt automatisch in die Arbeitsverträge der Belegschaft ein. Auch Betriebsvereinbarungen und Kollektivvertrag gelten unter bestimmten Voraussetzungen weiter.
Der Betriebsrat ist insbesondere über die Folgen des Betriebsübergangs für die Mitarbeiter rechtzeitig zu informieren und kann vom Arbeitgeber eine Beratung verlangen. Die Kündigung der Mitarbeiter im Hinblick auf den bevorstehenden Betriebsübergang ist nach ständiger Rechtsprechung unzulässig und unwirksam.
Unter Arbeitsrechtsexperten besteht inzwischen Einigkeit, dass bei Verlagerung eines Betriebs ins Ausland die Anwendbarkeit des Betriebsübergangsrechts nicht ohne weiteres ausscheidet. In der Praxis werden in solchen Fällen die einschlägigen Rechtsvorschriften dennoch häufig ignoriert. Dies hat neben mangelnder Rechtskenntnis beider Seiten auch damit zu tun, dass manchmal eine für die betroffenen Arbeitnehmer akzeptable Lösung im Verhandlungsweg gefunden werden kann. So kann etwa ein Sozialplan die Folgen des Arbeitsplatzverlustes mildern.
Kündigung aus betrieblichen Gründen
Kommt das Betriebsübergangsrecht zur Anwendung, so hätte der neue (ausländische) Arbeitgeber die österreichischen Arbeitsverträge zu übernehmen. Die darin vereinbarten Bedingungen, insbesondere das Gehalt und der gewöhnliche Arbeitsort, bleiben somit trotz Arbeitgeberwechsel weiter aufrecht. Der neue Betriebsinhaber könnte diese einzelvertraglichen Ansprüche nicht einseitig ändern.
Ist jedoch wegen der Verlegung des Betriebsstandorts eine Beschäftigung der übernommenen Mitarbeiter an ihrem bisherigen Arbeitsort in Österreich nicht mehr möglich oder zweckmäßig, so wäre ihre Kündigung in der Regel aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt.
Eine vorsorgliche Kündigung durch den bisherigen Arbeitgeber würde hingegen von der Rechtsprechung wohl auch in einem solchen Fall nicht zugelassen werden. Die Gerichte gehen nämlich davon aus, dass erst der neue Arbeitgeber die Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung zutreffend beurteilen kann.
Für bestimmte Arbeitnehmer (zum Beispiel Außendienstmitarbeiter mit unverändertem Gebiet) stellt der Wechsel des Betriebssitzes allein ohnehin keinen Grund für eine Kündigung dar.
Da ein Betriebsübergang die Stilllegung des Betriebs begrifflich ausschließt, wäre eine Kündigung von Schwangeren oder in Elternkarenz befindlichen Arbeitnehmern beziehungsweise Arbeitnehmerinnen ohne vorherige Zustimmung durch das Arbeitsgericht unwirksam.
Andreas Tinhofer ist Rechtsanwalt und Partner bei MOSATI Rechtsanwälte.
www.mosati.at