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Starke Ansage - leere Drohung?

Von Michael Schmölzer

Politik

Kanzler Werner Faymann baut in der Flüchtlingsfrage Druck auf: Wer in der EU nicht mitmacht, darf im Gegenzug nicht mit der Solidarität der Nettozahler rechnen. Ein Ansatz, der umstritten ist.


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Wien/Berlin/Brüssel. Im Streit um die EU-weite Aufteilung von Flüchtlingen erhöht Österreichs Kanzler Werner Faymann den Druck auf jene Länder, die keine Migranten aufnehmen wollen. Man könne nicht mehr Geld aus dem EU-Budget nehmen, als man einzahle, und sich im Gegenzug einer Lösung der Flüchtlingskrise in den Weg stellen, so Faymann. "Wer sich dennoch verweigert, stellt die gesamte Finanzierung des EU-Haushalts in Frage und macht es Nettozahlern wie Österreich künftig sehr schwer, weiterhin so viel Geld einzuzahlen", meint der Kanzler gegenüber der Zeitung Die Welt.

Die Idee, dass Länder, die sich nicht an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligen, finanziell belastet werden, ist jedenfalls nicht neu. Bereits im September hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Staaten, die sich an der Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland nicht beteiligen wollen, die Rute ins Fenster gestellt: Wenn ein EU-Land von seiner Verpflichtung freigestellt werden wolle, müsse es sich mit einer Begründung an die Kommission wenden, so Juncker. Dann sei es möglich, dass dieses Land unter dem Stichwort "Co-Finanzierung" zusätzlich zur Kassa gebeten werde. Ein Freund von "Drohgebärden" sei er aber nicht.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den Vorstoß Faymanns am Donnerstag mit großer Sympathie aufgegriffen: Man werde im Laufe des kommenden Jahres das Thema erörtern müssen, dass die Nettozahler beim EU-Haushalt "die Staaten sind, die die stärkste Last bei der Aufnahme der Flüchtlinge zu tragen haben. Während andere die Nehmerländer sind, die sich nicht an der Bewältigung der Flüchtlingskrise beteiligen." Starke Ansage Faymanns also oder doch nur eine leere Drohung? Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass finanzielle Schlechterstellungen für "unsolidarische" Länder - allen voran die Slowakei, Ungarn, Polen, Tschechien - nicht so leicht durchsetzbar sind.

"Visionen, keine Fronten"

Das deshalb, weil es auch in Brüssel Kräfte gibt, die sich gegen eine Sanktionierung aussprechen. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Kristalina Georgieva, etwa. Sie ist für den EU-Haushalt zuständig und warnte zuletzt davor, den Osteuropäern mit dem Entzug von EU-Strukturmitteln zu drohen. "Die Strukturhilfen spielen eine wichtige Rolle, um die Gemeinschaft in der EU zu stärken", sagt Georgieva gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Nur wenn es gelinge, die wirtschaftlich schwachen Staaten an das Niveau der anderen heranzuführen, werde die EU eine ausreichende Stabilität bekommen, um "weitere externe Schocks bewältigen" zu können. Man brauche eine gemeinsame Vision von Europa, da helfe es nicht, neue Fronten innerhalb der EU zu eröffnen, so die Bulgarin.

Othmar Karas hält als EU-Mandatar eines Landes, das gewisse Erfahrungen mit EU-Sanktionen hat, ebenfalls wenig von Bußen. Denn wen strafen, fragt der Österreicher im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Zwar sei die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen, beschlossen, aber von so gut wie keinem EU-Land umgesetzt worden. Hier gibt er zu bedenken, dass es einen Sanktionsmechanismus - anders als etwa beim Stabilitätspakt - nicht gebe. Ein solcher müsste also erst beschlossen werden - was unrealistisch sei, weil die von den Maßnahmen betroffenen Mitgliedstaaten "nicht Sanktionen gegen sich selbst beschließen". Allerdings ist auch Karas der Ansicht, dass man angesichts der Verweigerungshaltung vieler osteuropäischer Länder nicht zur Tagesordnung übergehen könne. Er werde etwa dafür werben, dass die nächste EVP-Studientagung nicht in Bratislava stattfinden solle, so Karas.

Katrin Böttger, Vize-Direktorin am Institut für Europäische Politik in Berlin, hält die Ankündigung Faymanns zwar für problematisch aber nicht unrealistisch. "Ganz so einfach ist es natürlich nicht", meint auch sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", der Finanzrahmen "ist im Voraus festgelegt. Das hat der EU-Rat einstimmig mit Zustimmung des EU-Parlaments beschlossen. Wenn das geändert werden soll, muss es eine Abstimmung darüber geben."

Neue Schwerpunkte

Realistisch sei aber, dass die Kommission "neue Schwerpunkte für das Jahr setzt". So gebe es Mittel, die im Vorjahr von den Mitgliedstaaten nicht ausgegeben wurden. Realistisch sei, dass man etwa den Bau einer Straße in Tschechien verschiebe, weil man das Geld nötiger für Flüchtlinge brauche. Das wäre dann aber nicht als Strafe gedacht. An sich gäbe es ja einen Mehrheitsbeschluss über die Aufnahme von Flüchtlingen, der sei rechtlich bindend. Wenn die Länder sich nicht daran hielten, könne es ein Vertragsverletzungsverfahren geben. "Aber das dauert eben sehr lange", sagt Böttger. "Österreich fühlt sich unsolidarisch behandelt, weil es über Jahre Nettozahler ist und andere sich im Gegenzug nicht an der Flüchtlingspolitik beteiligen", sagt Böttger. "Was Österreich machen kann, ist: seine Mittel nicht einzahlen. Dann gibt es zwar ein Vertragsverletzungsverfahren. Aber wenn Faymann das so wichtig ist, dann kann er so vorgehen. Und er kann plakativ sagen: Ich zahle jetzt weniger in die EU ein und geben das Geld für meine Flüchtlinge aus", so Böttger.

Faymann stellte dann am Donnerstag klar, worum es ihm geht: "Zu sagen: Wenn es mir nützt, bin ich für Europa, und wenn es mir gerade nicht nützt, bin ich gegen Europa, so geht es nicht."