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"Starke Männer" inszenieren Machtspiele

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Chef des Auslandsressorts bei den "Salzburger Nachrichten".
© privat

Nach sechs Jahren Bürgerkrieg in Syrien hat Russland den USA die Rolle der Ordnungsmacht in dieser Region abgenommen.


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Auf den ersten Blick stimmt es hoffnungsfroh, dass Russland, die Türkei und der Iran in Syrien vier "Deeskalationszonen" errichten, um nach sechs Jahren Bürgerkrieg einen Teilfrieden herzustellen. Leider verschweigt das Trio, wie das praktisch geht. Wladimir Putin baute ins Abkommen eine Klausel ein, die Syriens Machthaber Bashar al-Assad absichert: "Keine Luftangriffe mehr, wenn von diesen Zonen keine militärischen Aktionen ausgehen." Nun sitzt aber in den vorgeblichen Friedenzonen der Al-Kaida-Ableger Tahrir al-Scham, der Assad bekämpft. Wer stellt diese Miliz ruhig? Assad punzierte alle seine Gegner als Terroristen, der Kreml pflichtete ihm bei. So kann Russland jederzeit wieder zuschlagen, wenn es "Terroristen" die Störung des Friedens ankreiden kann. Und während der Kreml Assad an der Macht hält, ist ihm die Türkei spinnefeind.

Allzu offensichtlich treibt das Trio Machtspiele nach dem uralten Rezept, mit außenpolitischer Kraftmeierei innenpolitische Probleme zu neutralisieren. Dazu sagte jüngst Putin verblüffend offen: "Uns geht es schlecht, aber wir machen alles richtig." Schlecht ist, dass Schwarzarbeit in Russland ein Viertel der Wirtschaftskraft leistet (was Putin als Gegengeschäft für politischen Gehorsam akzeptiert). "Richtig" macht Putin die Selbstinszenierung als starker Mann. Er baut den russischen Flottenstützung Tartus an Syriens Küste aus und installiert bei Latakia ein Raketensystem, das den Luftraum über fast ganz Syrien sowie dem Norden Israels und dem Süden der Türkei sichert. Folgerichtig blockierte Russland mit Veto den Plan des Weltsicherheitsrats, den Luftraum über Syrien zur Flugsperrzone zu erklären. Da sich die USA nach dem Debakel im Irak in Zurückhaltung üben, hat nun Russland die Ordnungsmacht in der Krisenregion übernommen.

Ähnlich operiert Recep Tayyip Erdogan. Obschon die türkische Lira fast die Hälfte ihres Wertes einbüßte, der Tourismus massiv einbricht, ausländische Investoren ausbleiben und das Land auf "Ramschniveau" abfiel, droht er der EU mit dem Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Er pilgerte bußfertig nach Moskau, entschuldigte sich für den Abschuss eines russischen Kampfjets, erwirkte die Aufhebung der meisten Sanktionen und rühmt sich daheim der neuen Freundschaft mit dem Kreml. Er bekämpft massiv die kurdischen Peschmerga in Nordsyrien, die gegen den IS mehr Erfolge erzielten als Assads Armee. Zugleich ist die Türkei aber Nato-Partner.

Der Iran taktiert nach dem Verzicht auf eine eigene Atommacht eher unauffällig, aber wirksam: Er unterstützt Assad mit Waffen und "Freiwilligen", hält aber die Türe zu Washington offen - auch wegen der Rivalität mit Saudi-Arabien, das den Krieg der Opposition gegen das Regime im Jemen steuert, obwohl es wegen des niedrigen Ölpreises schmerzlich sparen muss.

Europa reagiert auf all dies mangels Alternativen mit starken Sprüchen. EU-Außenminister fordern, Assad für seine Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen oder gar zu stürzen. Den deutschen Dichterfürsten Goethe beeindruckte nicht, dass "weit hinten in der Türkei die Völker aufeinander schlagen". Heute finden diese Schlägereien aber vor unserer Haustüre statt.