Hunderttausende Polen verdienen ihr Geld im Ausland - doch in ihrer Heimat ist es immer weniger wert.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Agata war gerade einkaufen in Irland. Mit einem der zahlreichen Billigflieger, die polnische Arbeitsmigranten nach Dublin oder London bringen, ist sie in die westpolnische Stadt Poznan geflogen. Auf dem Bahnhof wartet sie nun auf ihren Zug nach Gdansk (Danzig). "Schauen Sie: Das würde ich um das Geld in Polen nicht bekommen", sagt sie, öffnet ihren Koffer und holt die Sachen raus. Ein Paar Kinderschuhe - echte Adidas - für etwas mehr als zehn Euro. Vier Leibchen für ihre eineinhalbjährige Tochter um rund fünf Euro.
Agata ist nur für kurze Zeit nach Polen gekommen, um ihr in Irland geborenes Mädchen registrieren zu lassen. Schon bald möchte sie wieder nach Belfast zurückkehren, wo ihr Mann eine Tischlerei betreibt. Auch das wäre in Polen nicht möglich, erzählt die junge Frau: "Die Steuern hier würden alles auffressen."
Doch nicht alle Migranten zeigen sich so zufrieden wie Agata und ihr Mann. Immer mehr Polen denken an die Rückkehr in ihre Heimat. Geschätzte 1,5 Millionen Menschen sind nach dem EU-Beitritt ihres Landes 2004 auf der Suche nach einem Job weggefahren, vor allem nach Großbritannien und Irland, wo die Arbeitsmärkte nicht durch Übergangsfristen abgeschottet waren.
Das Wirtschaftswachstum in Westeuropa hat sich aber verlangsamt, die Jobangebote werden rarer, die Karrierechancen für die Migranten sind begrenzt. Im zweiten Quartal des Jahres gab es zehn Prozent weniger Stellenangebote von ausländischen Unternehmen für Fachkräfte als im ersten Quartal - und ein Drittel weniger als im Jahr zuvor. Das geht aus einem Bericht des polnischen Jobportals "Pracuj.pl" hervor.
*
Gleichzeitig sinkt für Polen die Kaufkraft von Pfund und Euro. Der polnische Zloty ist nämlich stark wie selten zuvor. Waren für einen Euro noch vor vier Jahren rund 4,5 Zloty zu bekommen, so sind dafür derzeit nur etwas mehr als drei Zloty zu haben. Das im Ausland verdiente Geld ist weniger wert in Polen; umgekehrt lässt sich mit dem umgetauschten Zloty woanders mehr kaufen als zuvor. Elektronische Geräte, Markenkleidung, Kosmetika, Autos - all das ist im Ausland meist billiger.
Ein weiterer Anreiz, wieder in die Heimat zurückzukehren, ist die wachsende Zahl an Jobangeboten in Polen selbst. Branchen wie der Handel oder das Baugewerbe klagen über Facharbeitermangel; doch auch im Banken- und Versicherungssektor werden Mitarbeiter gesucht.
Die Gehälter in Polen steigen ebenfalls. Laut einer Studie im Auftrag der Zeitschrift "Polityka" ist der durchschnittliche Bruttolohn innerhalb der letzten fünf Jahre um rund 43 Prozent gewachsen. Wird allerdings die Kursentwicklung des Zloty mitberücksichtigt, ist der Lohn in Euro ausgedrückt um etwa 72 Prozent gestiegen - und in US-Dollar sogar um 139 Prozent.
Ökonomen weisen allerdings auch auf die Gefahren dieser Entwicklung hin. Das Gehalt steigt, die Produktivität aber nicht. Die wachsenden Kosten für die Arbeitnehmer mindern wiederum die Konkurrenzfähigkeit, wenn sich Unternehmen vor allem wegen der niedrigen Löhne in einem Land ansiedeln. Und mag der starke Zloty Konsumenten auch erfreuen - Exporteure lässt er stöhnen. Für ihre Waren erhalten die Ausführenden nach Umrechnung in Zloty nämlich immer weniger.
grenzgaenge@wienerzeitung.at