Als Bundeskanzler skizzierte Christian Kern am Wochenende die Herbstarbeit der Regierung.
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Wien. Die Welt ist ziemlich komplex geworden und Christian Kern erkennt diese Komplexität. Das ist die gute Nachricht, der 50-jährige Sozialdemokrat ist immerhin Bundeskanzler, und das seit knapp mehr als 100 Tagen. Er vertritt linke Thesen in edlem Outfit, schon mit dieser überschaubaren Komplexität tun sich etliche hart.
Der langjährige Spitzenmanager (Verbund, ÖBB) versteht den wöchentlichen Ministerrat als eine Art Vorstandssitzung, in dem die Regierungsmitglieder die wichtigen Themen des Landes besprechen. Das war nicht der Fall, der Ministerrat ist zu einer lästigen Verpflichtung verkommen, in denen jene Dinge, die daher koordiniert worden waren, schlicht unterzeichnet wurden. Ein Foto, um in der Öffentlichkeit gemeinsamen Arbeitseifer zu suggerieren, nach einer Viertelstunde war die Sache vorbei. Der Sozialminister interessiert sich für Vorhaben im Wirtschaftsministerium? Fehlanzeige. Der Landwirtschaftsminister unterbreitet dem Infrastrukturminister einen Vorschlag, der dann allgemein diskutiert wird? Eine naive Vorstellung.
Christian Kern hat dem allem nun 100 Tage beigewohnt, am Wochenende präsentierte er erstmals umfassend seine Ideen – und die kommende Arbeit der Regierung.
"Wenn man in eine neue Struktur kommt, und die ändern will, schaut man sich das in einem Unternehmen zuerst genau an. In der Politik geht das nicht. Es war auch gleich viel los: Brexit, Terror, Bundespräsidentenwahl. Ich dachte, diese Änderungen auf der Regierungsbank mit den Partnern aufzusetzen. Das ist bisher eher nicht gelungen", resümiert er seine ersten 100 Tage Erfahrung.
Besonders ärgert Kern der manchmal schlamperte Umgang mit Fakten, sowohl in der politischen Kommunikation als auch in der medialen Berichterstattung. Österreich sei beileibe nicht so schlecht wie derzeit dargestellt. "Die Investitionsquote in Österreich ist höher als in Deutschland", sagt er. "Und der industrielle Output ist seit Beginn der Krise 2008 stärker gestiegen als in Deutschland."
Kern beruft sich auf Statistiken, versteht eigentlich nicht, wie daran zu rütteln ist. 2009 lag die Pünktlichkeit der Züge knapp unter 92 Prozent, unter ÖBB-Chef Christian Kern wurde der Wert auf 96,3 Prozent gesteigert. Das ist ein messbarer Erfolg, über Fakten ist schlecht zu streiten – aus dieser Welt kommt Christian Kern.
"Das Problem der österreichischen Politik ist, dass man sich nicht einmal auf Fakten einigen kann", sagte ein Sektionschef, der anonym bleiben wollte, zur "Wiener Zeitung". Das ist eine neue Erfahrung für Kern. Seine Zurückhaltung in den vergangenen Wochen war wohl eine Reaktion darauf. Als er eine Asylwerber-Zahl nannte, und ihn der zur ÖVP-Riege gehörende Innenminister tags darauf korrigierte, bekam er wohl eine Ahnung, was vom Satz des Sektionschefs zu halten ist. Messbare Erfolge sind in der politischen Struktur des Lauerns selten geworden, vermutlich ein Grund, warum SPÖ und ÖVP dort stehen wo sie stehen.
Nun versucht Christian Kern eine Änderung – und unterscheidet dabei auch zwischen Bundeskanzler und Parteichef. Das ist ein neuer Ansatz. In den vergangenen 16 Jahren sind die Konturen zwischen Regierungs- und Parteiarbeit zunehmend verschwommen. Kern glaubt, dass sich dies nun ändert, vor allem wenn FPÖ-Kandidat Norbert Hofer die Bundespräsidentenwahl gewinnen sollte. Das würde die Regierungskoalition zusammen schweißen, so seine Hoffnung. Die SPÖ wird zwar für Van der Bellen keine offizielle Wahlempfehlung abgeben, allerdings unterstützen viele Funktionäre der Partei dessen Wahlkampf.
REGIERUNGS-PROJEKTE
Abseits des Lernprozesses stellte Kern am Samstag vor Journalisten auch konkrete Projekte vor.
"In kurzer Zeit kann man wenig gestalten, aber viel zerstören", erklärt Bundeskanzler Christian Kern seine mediale Zurückhaltung in diesem Sommer. Seit knapp mehr als 100 Tage ist er im Amt, nun skizziert er die Herbstarbeit der Regierung. Die aus einer einmaligen Abschlagszahlung für die Bankenabgabe finanzierte Bildungs-Milliarde sei auch ein kleines Konjunkturprogramm, da Geld auch in den Umbau von Schulen fließen werde, so Kern. 750 Millionen gehen in den Ausbau der Ganztags-Schule. "Da prallen natürlich ideologische Muster der Koalitionspartner aufeinander", so Kern. "Daher müssen wir präzise umsetzen, was wir ausgemacht haben."
Der Ausbau der Fachhochschulen, hier werden naturwissenschaftliche Fächer verstärkt angeboten, werde ebenso umgesetzt. Und die "startups", die ihm ein besonderes Anliegen sind, sollen mit den beschlossenen Förderungen besser abgesichert werden. Es geht dabei um Steuererleichterungen für Investoren sowie eine bessere soziale Absicherung der jungen Unternehmer.
AUS FÜR KALTE PROGRESSION
Und er kündigte an, dass die kalte Progression entschärft wird. "Da gibt es Konsens mit der ÖVP", sagte Kern. Dadurch soll die Kaufkraft der Bürger kontinuierlich gesteigert werden. "Es wird dadurch öfters Steuerentlastungen von mehreren Hundert Millionen Euro geben", sagte Kern am Samstag vor Journalisten. Unter kalter Progression wird verstanden, dass nach Lohnerhöhungen Steuerzahler in eine höhere Steuerstufe kommen, was den Nettoeffekt deutlich reduziert. Umgekehrt bedeutet das auch eine Herausforderung für das Budget. Die Lohnsteuer ist mit einem Aufkommen von mehr als 20 Milliarden Euro wesentlich für die Finanzierung der öffentlichen Leistungen. Kern ist dabei durchaus bereit, über Umschichtungen im Budget zu sprechen, auch über Subventionen. "Aber wenn, dann halt über alle und nicht nur einzelne Förderungen", sagte Kern.
FLÜCHTLINGE
Beim derzeitigen Hauptthema Flüchtlinge bekräftigte der Kanzler die Linie "Integration vor Migration". Österreichische Soldaten werden an der serbisch-mazedonischen Grenze aushelfen. "Und ich halte es für wichtig, auch mit Bulgarien und Griechenland zu sprechen." Wobei der Bundesheer-Einsatz in der Flüchtlingsfrage martialischer klingt als es gemeint ist. An der ungarisch-serbischen Grenze werden etwa Pioniere des österreichischen Heeres auch mithelfen, festsitzenden Flüchtlingen einigermaßen menschenwürdige Unterkünfte aufzubauen. Dazu hat das Heer eine Kooperation mit dem Arbeiter-Samariterbund vereinbart, deren Hilfskräfte ebenfalls an Ort und Stelle sein werden.
Um Fluchtbewegungen gar nicht erst entstehen zu lassen, ist das Engagement der EU unerlässlich, sagte Kern. "Das 6,5-Milliarden-Programm für nordafrikanische Länder ist vollkommen richtig, die Umsetzung geht allerdings zu langsam. Das muss sich beschleunigen", sagte der Bundeskanzler. Dies werde ein Thema bei kommenden EU-Gipfel in Bratislava Mitte September werden. Es wird dies der erste EU-Gipfel ohne britische Beteiligung. Kern: "Es werden deutlich weniger Flüchtlinge kommen, wenn Italien und der Türkei-Deal halten."
Im Inland die Mindestsicherung mit der Flüchtlingsfrage zu verknüpfen, ist für Kern unmöglich. "Ich bin durchaus bereit, über eine Reform zu sprechen, wie es Sozialminister Stöger bereits erklärte. Aber das gilt dann halt für alle, nicht nur für gerade Zugewanderte." So solle ein Teil in Form von Sachleistungen fließen. "Ich halte die Mindestsicherung für keine Sollbruchstelle der Koalition."
Kern bezeichnet all die Maßnahmen als sein "Startpaket", um die Regierungsarbeit in Schwung zu bringen.
PENSIONEN
Wenig Freude hat Kern mit dem wiederkehrenden Satz, dass das Pensionssystem unfinanzierbar werde. "Der Bundeszuschuss lag bei etwa 6,2 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung. In den 2030er Jahren könnte er auf 6,5 Prozent steigen, dann sinkt er wieder", doziert Kern. "Aber auch das ist unsicher. Die (noch unter Rudolf Hundstorfer, Anm.) eingeleiteten Maßnahmen haben im heurigen Budgetvollzug die Pensionskosten bisher um 500 Millionen Euro gegenüber dem Voranschlag gedrückt."
Wie auch bei der Kalten Progression will Kern bei künftigen Pensionsreformen die ärmsten der Gesellschaft bevorzugen. "Wer 30 Versicherungsjahre hat, soll wenigstens 1000 Euro Pension erhalten."
CETA & TTIP
Zuletzt großes Thema waren auch die geplanten EU-Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP). Kern sprach sich massiv dagegen aus. Am Samstag erklärt er, warum. "Alles, was bei CETA nicht auf einer Negativliste steht, ist zu liberalisieren und zu privatisieren. Das will ich mir von einem Handelsabkommen nicht aufs Auge drücken lassen." Er räumt ein, dass die SPÖ diese Diskussion verschlafen hat – immerhin wurde CETA fünf Jahre verhandelt. Auch die geplanten Schiedsgerichte, wenn sich Investoren benachteiligt fühlen, lehnt Kern ab. "Solche Schiedsgerichte haben Sinn, wenn es um qualitativ sehr unterschiedliche Rechtssysteme geht. Das ist zwischen der EU und Kanada nicht der Fall." Ob er sich mit der Position in der EU durchsetzen kann, ist völlig offen. Nur wenn nationale Parlamente zustimmungspflichtig werden, würde CETA gekippt. Das andere atlantische Abkommen TTIP mit den USA steht dagegen sowohl in der EU als auch in den USA an der Kippe.
FINANZAUSGLEICH
Beim Finanzausgleich, der den Steuerkuchen in Österreich verteilt, will Kern, dass manche Vereinbarungen, die zwischen Bund, Ländern und Gemeinden getroffen werden, nicht auf die grundsätzliche Laufzeit von vier Jahren gelten. Dadurch könne man flexibler auf Aufgabenänderungen reagieren, so der Kanzler abschließend.
SPÖ
In der SPÖ soll der Kontakt mit den Mitgliedern intensiviert werden. Wie jetzt bei CETA kann sich Kern auch bei anderen Themen Befragungen der Parteimitglieder vorstellen – auch bei der Aufstellung von Kandidaten. Das Renner-Institut, die Parteiakademie der Sozialdemokraten, soll zu einem think-tank ausgebaut werden, der auch Personen anspricht, die außerhalb der SPÖ stehen. "Wir haben uns in der Vergangenheit zu sehr verengt."