Gipfel-Erfolg für Obama: Europa muss sich künftig finanziell stärker beteiligen.
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Chicago. Nicht alles lief so harmonisch, wie es sich Gastgeber Barack Obama beim größten Nato-Gipfel in der 63-jährigen Geschichte des Militärbündnisses gewünscht hätte. Wegen eines heraufziehenden Unwetters musste das Gruppenfoto - geplant vor dem imposanten Hintergrund des Michigan-Sees - in das wenig Charme versprühende Konferenzzentrum Chicagos verlegt werden. Vor dem mit Stacheldraht, Betonschutzwänden und von tausenden schwer bewaffneten Sicherheitskräften abgeriegelten Tagungsort protestierten Nato-Gegner gegen die Kriegsmaschinerie des Westens - zunächst friedlich, später lieferten sich vermummte Demonstranten Scharmützel mit der Polizei; sechs Personen wurden verhaftet.
Und selbst in der Afghanistan-Frage musste der wahlkämpfende Demokrat Obama klein beigeben: Frankreich beharrte auf dem Abzug bereits Ende 2012. Mit Pakistan kam es gar zum Eklat. Das für den US-Transit von Kriegsmaterial in den Hindukusch wichtige Partnerland wollte sich Zugeständnisse von Washington teuer abkaufen lassen. Ein Abkommen scheiterte deshalb.
Der US-Präsident kann aber auch auf Erfolge verweisen. So stellten die 28 Alliierten in seiner Heimatstadt Chicago die Weichen für rund 20 gemeinsame milliardenschwere Rüstungsprojekte und eine engere Zusammenarbeit bei Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern. "Smart Defense" heißt das Zauberwort. Im Mittelpunkt steht dabei ein milliardenschweres Projekt zur Bodenbewachung der sogenannten Allien Group Surveillance (AGS), bei dem fünf US-Drohnen vom Typ Global Hawk zum Einsatz kommen sollen. 13 Nato-Mitglieder sagten ihre Teilnahme auf dem Gipfel schriftlich zu. Für den Präsidenten, der wegen der US-Finanz- und Wirtschaftskrise bei den US-Militärausgaben den Sparstift ansetzen muss, kommt der Beschluss innenpolitisch durchaus gelegen. Er kann nun darauf verweisen, dass Washington bei der finanziellen Lastenteilung zugunsten der europäischen Bündnispartner künftig entlastet wird. Die Details dazu müssen aber erst noch ausverhandelt werden. Derzeit beträgt der Anteil der USA an den Nato-Ausgaben 75 Prozent.
Spanien, Türkei und Deutschland als Vorreiter
Einen wichtigen Schritt vorangekommen sind die USA und ihre 27 Bündnispartner an dem zweitägigen Treffen, das am Montag zu Ende gegangen ist, bei der Raketen-Abwehr für Europa: Die erste Stufe des Systems, das das Bündnis vor Angriffen sogenannter Schurkenstaaten wie Iran oder Nordkorea schützen soll, ist in den Dienst gestellt worden.
Obama wollte damit jene republikanischen Kritiker Lügen strafen, die ihn als außenpolitischen Schwächling darstellen. Auf Russlands Befindlichkeiten hingegen wurde in Chicago keine Rücksicht genommen. Damit dürfte die Konfrontation mit der Atom-Großmacht, die sich durch den Abwehrschild bedroht fühlt, in eine neue Runde gehen.
In dem Abwehrsystem werden Satelliten, Schiffe, Radaranlagen und Abfangraketen mehrerer Nato-Länder zusammengefügt, um Europa vor einer möglichen Bedrohung durch Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 3000 Kilometern zu schützen. Bis 2020 soll es komplett installiert sein. Die Militärallianz hatte den Aufbau auf ihrem letzten Gipfel 2010 in Lissabon vereinbart.
In der ersten Betriebsphase des Raketenschirms werden mit einem Raketenabwehrsystem ausgestattete US-Militärschiffe auf einer US-Marinebasis im spanischen Rota stationiert, eine Radarstation im Südosten der Türkei in Betrieb genommen und die Arbeit in der Kommandozentrale auf dem Nato-Stützpunkt im deutschen Ramstein aufgenommen. Später kommen Abschussbasen für bodengestützte Abfangraketen in Polen und Rumänien hinzu.
Russland hatte nur Stunden vor dem Nato-Beschluss erneut seine Ablehnung deutlich gemacht. Vize-Verteidigungsminister Anatoli Antonow sagte in Moskau, das System könne das strategische Gleichgewicht stören. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte aus Ärger über den "natürlich gegen Russland gerichteten" Nato-Schirm seine Reise zum Gipfel abgesagt. Russland hatte kürzlich damit gedroht, Komponenten des Raketenschildes zu vernichten. Die Regierung fordert Garantien, dass sich der Schild nicht gegen ihre mit atomaren Sprengköpfen bestückten Kontinental- und Interkontinentalraketen richtet. Diese gab es aber auch in Chicago nicht.
Nur indirekt verwies Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erneut darauf, dass sich das System nicht gegen Russland richte. Es gehe nur darum, "uns gegen Bedrohungen von außerhalb der europäisch-atlantischen Region zu verteidigen", betonte er in Chicago. "Und natürlich kann Russland das nicht blockieren", fügte er selbstbewusst hinzu.