Österreich braucht eine klare Trennung von Legislative und Exekutive, die eine Stärkung sowohl des Bundespräsidenten als auch des Nationalrats mit sich bringt.
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Österreich ist wie Deutschland eine Kanzler-Republik, mit einem Unterschied: Der Bundespräsident hat ungleich mehr Macht als sein Pendant in Berlin. Die Wochen seit dem Ibiza-Video und dem Scheitern von Türkis/Blau haben gezeigt, dass es zur Macht der Bundeskanzler alternative Möglichkeiten gibt.
Sebastian Kurz bleibt bei seinem jetzt bereits ins Messianische gesteigerten Kanzler-Anspruch. Er möchte ab dem Spätherbst auch viel lieber ganz allein regieren. Sein Hoch in den Umfragen reicht aber nur für eine Minderheitsregierung. Das hat zuletzt Viktor Klima an der Schwelle zum neuen Jahrtausend probiert. Er ist aber an Wolfgang Schüssel gescheitert, der am Bundespräsidenten Thomas Klestil vorbei mit Jörg Haider eine Mehrheit gebildet hat. Dreißig Jahre davor ist Bruno Kreisky ein solcher Coup geglückt - mithilfe eines Wahlsystem-Geschenks an die FPÖ. Eine Wahlrechtsänderung ermöglichte es den Freiheitlichen unter Friedrich Peter, ab sofort leichter zu Nationalratsmandaten zu kommen.
Schwarzer Kreisky
Kurz träumt vielleicht davon, ein schwarzer Kreisky zu werden. Dazu fehlt ihm zwar nicht das Charisma, aber das analytisch-historische Wissen und die an der österreichischen Literatur gewachsene Sprache. Für den so jung zum Altkanzler gewordenen Blitzaufsteiger gilt, was Christian Ortner in einer seiner Kolumnen über den SPD-Jungstar Kevin Kühnert geschrieben hat: Dieser sei "für eigene Anschauungen zu jung." Ortner hat den Hinweis auf Kurz (in welcher Weise immer) unterlassen.
In der Wirklichkeit ist trotz zahlreicher neuer Steigbügelhalter-Spekulationen festzustellen: Alle bisher in der Zweiten Republik praktizierten Regierungsvarianten sind gescheitert. Einerseits, weil sich die FPÖ verdreifacht hat und das Modell der "Großen Koalition" zwischen ÖVP und SPÖ Geschichte ist. Andererseits werden Regierungsbildungen durch eine zunehmende Fraktionierung der Parlamente auch in Österreich immer schwieriger und länger. Abgewählte Regierungen amtieren da oder dort ein halbes Jahr über ihr Sturzdatum hinaus.
Wie kommen wir aus diesen Dilemmata heraus? Eine mögliche Lösung ist die klare Trennung von Legislative und Exekutive, wie sie derzeit in der durch das "Ibiza-Video" provozierten Situation praktiziert wird - in Europa de facto wie in Frankreich, wo der vom Volk gewählte Präsident auch den Ministerpräsidenten ernennt. In Österreich läuft derzeit ein "Feldexperiment am demokratischen Körper der Republik" (Walter Hämmerle).
Was hieße das für die Zeit über die nächste Nationalratswahl hinaus? Der Bundespräsident ermuntert das Kabinett Bierlein, weiterzuregieren, und der neue Nationalrat beginnt sofort nach seiner Konstituierung mit der Gesetzesarbeit. Wechselnde parlamentarische Koalitionen würden Gesetze beschließen, die von der Regierung umzusetzen wären. Das Parlament müsste freilich mit dem Recht ausgestattet werden, die Regierung innerhalb ihrer gesetzlichen Amtszeit (identisch mit jener des Nationalrats) auch abzusetzen - mit Zweidrittelmehrheit.
Wir könnten alles so lassen, wie es seit kurzem ist, aber aus der Not (die Van der Bellen so hervorragend bewältigt hat) eine Tugend machen.
Die meisten Kommentatoren trauen dieser zwischen Traum und Wirklichkeit angesiedelten Variante nicht. Der kritische, mit der politischen Elite jedoch vertraute "profil"-Herausgeber Christian Rainer hat geschrieben, dass "eine Expertenregierung ihr Land mittelfristig mangels Können ins Chaos und mangels ideologischer Orientierung ins Nichts führen würde". Zwei Absätze vorher schreibt er aber, (Regierungs-)Politik brauche Erfahrung, Verhandlungsgeschick, Führungs- und Gruppentauglichkeit. Das ist widersprüchlich: Nahezu alle derzeitigen Regierungsmitglieder haben von den genannten Voraussetzungen mehr mitgebracht als die Ministerinnen des Vorgängerkabinetts unter Sebastian Kurz.
Machtverschiebung
Ganz abgesehen davon, dass zwischen Experten und Beamten ein Unterschied besteht - Experten sind Manager der "freien" Wirtschaft oder Uni-Professoren, Beamte Leute, die im staatlichen und damit gesetzlich gesteuerten Management gewachsen sind.
Fazit: Spitzenbeamte sind jetzt bereits die faktischen Umsetzer von Gesetzen, sollen sie doch gleich auch Minister sein. Politiker (Volksvertreter) brauchen nicht bei Porr oder beim Verbund groß geworden sein. Sie sollen Gesetze vorschlagen, mithilfe von Fachleuten buchstabierbar machen und dann beschließen. Deshalb brauchen wir endlich eine klare Trennung von Legislative und Exekutive, die eine Stärkung sowohl des Bundespräsidenten als auch des Nationalrats mit sich bringt. Wie weit dieser Machtzuwachs ginge, wäre freilich offen.
Machtwillige oder Machtgierige würden dann aber nicht mehr so sehr ins Ballhaus, sondern in die Hofburg streben, denn dorthin würde sich das Machtzentrum verschieben.
Korrektur-Werkstatt
Wie viel Politiker wirklich können, zeigt sich an der momentanen Realität: Die Bierlein-Regierung ist eine Reparaturwerkstätte schlechter, mit türkis-blauer Mehrheit beschlossener Husch-Pfusch-Gesetze. Und eine Korrektur-Werkstatt für finanzielle Ausreißer. Herbert Kickl habe gar nicht gewusst, heißt es zum Beispiel, wie viele Überstunden in seinem Ressort (zur Orwellisierung der Republik) entstanden sind.
Wir benötigen eine wirkliche Reform der parlamentarischen Demokratie. Unter Türkis/Blau wurde - wie in den Vorgängerregierungen - nur das Gewünschte behandelt. In Zukunft sollten die Wünsche der Bevölkerung Priorität haben.