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Die Talfahrt an den Aktienmärkten hat mit einiger Zeitverzögerung auch die Lebensversicherer in Schwierigkeiten gebracht. Viele Firmen überdenken bei Kapitallebensversicherungen ihre hohen Renditeversprechen. Experten erwarten, dass Kunden wegen der Krise am Aktienmarkt im kommenden Jahr mit deutlichen Kürzungen der Gewinnbeteiligungen rechnen müssen. Erstmals seit einem Jahrzehnt wurde zudem bereits ein Institut unter Zwangsverwaltung gestellt.
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"Den Versicherern geht es so schlecht wie nie zuvor", beschreibt Manfred Poweleit vom deutschen Rating-Spezialisten map-report die Situation.
Konnten die Unternehmen während des Aktienbooms noch mit hohen Renditen locken, wird jetzt kräftig zurückgerudert: "Wir müssen uns davon verabschieden, dass eine Lebensversicherung immer risikolose 7,5% bringt", meint Reiner Will vom Branchenbeobachter Assekurata. Für realistisch halten Experten einen Wert um die 5%. Das entspräche ungefähr dem aktuellen Zinssatz für langfristige festverzinsliche Anleihen. "Mehr in Aussicht zu stellen ist schwierig. Niemand kann zaubern", sagt Will.
Die Renditen von Kapitallebensversicherungen setzen sich aus zwei Teilen zusammen: Der Garantiezins muss immer gezahlt werden und liegt derzeit bei 3,25%. Hinzu kommt eine Überschussbeteiligung. Die gibt es allerdings nur, wenn die Versicherung auch Gewinne aus ihren Anlagen erzielt. "Alles, was über den Garantiezins hinaus geht, bleibt eine Erwartung, kein Versprechen", betont Volker Pietsch von der Verbraucherzentrale Berlin. Doch auch Versicherungen können sich verspekulieren, selbst wenn sie nicht mehr als 35% des Kapitals am Aktienmarkt anlegen dürfen. Bei einigen Gesellschaften stellt sich daher mittlerweile nicht mehr die Frage nach der Höhe des Überschusses, sondern eher die nach der Substanz. "Bei etwa 25 Versicherern sehe ich hier dringenden Handlungsbedarf", so Poweleit. Bei bis zu zehn Unternehmen könnten seiner Meinung nach die eigenen Mittel nicht ausreichen, um die vertraglichen Leistungen zu erfüllen.
Noch in diesem Jahr könnten daher bis zu zehn Versicherer unter die Zwangsaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) fallen, schätzt Poweleit. Erstmals seit Anfang der neunziger Jahre hat die Bundesanstalt Anfang Juli bei der kirchlichen Familienfürsorge einen so genannten Sonderbeauftragten eingesetzt. Dieser überwacht nun die Geschäfte des Unternehmens "zur Wahrung der Belange der Versicherten". Im Klartext: Der Bevollmächtigte stellt sicher, dass die Versicherung künftig das ihr anvertraute Geld in möglichst risikoarm anlegt, um nach und nach wieder auf einen grünen Zweig zu kommen.
Grund zur Panik für die Versicherten ist die Zwangsverwaltung nicht, sagt Poweleit. "Was ein Kunde an Guthaben hat, kann ihm nicht mehr weggenommen werden. Auch die Überschussbeteiligung der letzten zehn Jahre ist garantiert." Zwar sei theoretisch nicht auszuschließen, dass eine Lebensversicherung dem Kunden die garantierten Leistungen kürze, doch die Wahrscheinlichkeit gehe gegen Null, meint Poweleit. "Da greifen erst einmal ein Dutzend Sicherungen. Der Versicherer muss alles tun, um an Geld zu kommen." So könnten etwa Reserven aufgelöst, Eigenkapital verringert oder Rückversicherer eingeschaltet werden. Eine regelrechte Pleite einer Lebensversicherung hat es bisher noch nie gegeben.
Für die Zukunft fordern die Experten von den Versicherungen, in der Werbung für ihre Produkte wieder weg von der an den Aktienmarkt angelehnten Kurzzeitbetrachtung zu kommen. "Lebensversicherungen laufen durchschnittlich 27 Jahre", erinnert Poweleit. Versicherer bräuchten daher eine Strategie, die auf 30 oder 40 Jahre angelegt ist und die sie "mit ostfriesischer Sturheit durchziehen". "Diese Strategie ist offenbar in der Boomphase gänzlich abhanden gekommen."