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25 Jahre nach der größten militärischen Niederlage in der Geschichte der Supermacht USA betritt Bill Clinton am Freitag als erster US-Präsident wieder vietnamesischen Boden. Die Begegnung lässt auf beiden Seiten des Pafizik traumatische Erinnerungen hochkommen. 58.000 GIs und drei Millionen Vietnamesen - zwei Millionen davon Zivilisten - waren im Indochina-Krieg zwischen 1964 und 1975 gefallen. Für die USA endete der Konflikt mit der größten militärischen Niederlage ihrer Geschichte.
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Trotz des Einsatzes von 13 Millionen Tonnen Munition - das entspricht einer Sprengkraft von 450 Hiroshima-Bomben - gelang es den Amerikanern nicht, die kommunistischen Vietcong zu besiegen. Obwohl Clinton damals zu den Gegnern des US-Einsatzes in Vietnam galt und sich mittels eines Stipendiums in Großbritannien einer Einberufung enzog, stellte er im Vorfeld des Besuchs bereits eines klar: dass er nicht gedenke, sich heute für das amerikanische Militärengagement zu entschuldigen.
Der Vietnamkrieg, darüber sind sich Militärhistoriker einig, hat die moderne Kriegsführung um einige entscheidende Facetten erweitert. Zum einen wurde die Zivilbevölkerung massiv in die Kampfhandlungen miteinbezogen - das allein wäre noch nichts Neues gewesen, die Bombardierung ziviler Ziele hat es schon im Zweiten Weltkrieg gegeben. Was es zuvor aber nicht gegeben hat, war eine umfassende Medienpräsenz vor Ort. Den Amerikanern wurden die Schrecken des Krieges täglich ins Wohnzimmer geliefert. Diese Art der Berichterstattung war dann auch einer der Hauptgründe für das Friedensengagement vieler Amerikaner.
Agent Orange
Eine weitere traurige Errungenschaft des Vietnamkriegs war der systematische strategische Einsatz von Umweltgiften: 72 Millionen Liter hochgiftiger Herbizide sind von der US-Luftflotte über den ausgedehnten Urwäldern Vietnams versprüht worden, in der Südhälfte des geteilten Landes hat man 50 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche und des Waldes nachhaltig geschädigt. "Agent Orange" wurde neben Napalm zum Synonym für Massenvernichtung, aber auch Ausdruck einer wütenden Ohnmacht und Hilflosigkeit der US-Streitkräfte. Trotz eindeutiger militärischer Überlegenheit konnten die Amerikaner ihren Gegner nicht zu fassen bekommen. Der Vietcong unter Führung des Kommunisten Ho-Chi-Minh machte sich die Unwegsamkeit des südost-asiatischen Urwaldes zunutze, um ihre Überfälle aus dem Nichts zu starten und relativ unbehelligt wieder zu verschwinden. Die großangelegten Entlaubungsaktionen der Amerikaner hatten aber vor allem das Ziel, die Nachschubwege der Vietcong vom Flugzeug aus sichtbar zu machen.
Der begangene Ökozid hatte jedoch nie den erhofften durchschlagenden militärischen Erfolg. Genausowenig wie die vom amerikanischen Oberbefehlshaber General Westmooreland in Abständen durchgeführten "Säuberungsaktionen." Die kommunistische Guerilla ließ sich nicht stellen, verlagerte ihre Nachschubpfade teilweise unter die Erde und wurde von Tag zu Tag stärker.
Die moralische Niederlage der Amerikaner wurde schließlich durch das Masakker von My Lai am 16. März 1968 besiegelt. In der abwegigen Vorstellung, es handle sich um Verbündete des Vietcong, massakrierten US-Soldaten die Einwohner eines ganzen Dorfes, 500 Menschen, davon waren 173 noch Kinder. Eine Wahnsinnstat, die an die Vergeltunsaktionen der Waffen-SS im tschechischen Lidice und französischen Oradour während des Zweiten Weltkriegs erinnert. Die Praxis des sogenannten "body-countings" stellte einen weiteren Tiefpunkt der amerikanischen Kriegführung dar: Nach jeder Kampfhandlung wurde die Zahl der gefallenen Vietcong-Kämpfer mit den eignen Verlusten verglichen, um so einen militärische Erfolg dokumentieren zu können. Auf einen gefallenen GI kamen im Schnitt zehn Vietnamesen.
Als diese Fakten nach und nach in das öffentliche Bewusstsein der Amerikaner drangen - das Massakker von My Lai wurde erst nach eineinhalb Jahren bekannt - wuchs der Widerstand innerhalb der USA. Die sogenannte "Domino-Theorie" Eisenhowers aus dem Jahr 1954 verlor immer mehr an Glaubwürdigkeit. Ihr zufolge würde sich im Fall eines amerikanischen Nachgebens im Vietnam der Kommunismus in einer Kettenreaktion über den Pazifik bis nach Neuseeland ausbreiten. Diese Theorie und ihre allgemeine Akzeptanz war der Hauptgrund, warum sich die USA nach und nach immer tiefer in dem ruhmlosen Krieg verhedderte.
Denn zunächst begann alles noch recht harmlos: 1954 waren die Franzosen von den Vietnamesen vertrieben worden, das Machtvakuum wurde von den USA sofort gefüllt. Ab 1955 war der Vietnam entlang des 17. Breitengrades in einen kommunistischen Norden und einen von Amerika abhängigen Süden geteilt. In Intervallen schleuste der Norden kommunistische Kämpfer in den Süden ein, was die USA zunächst dazu bewog, etwa 1000 Militärberater zu entsenden. Der "Tonking-Zwischenfall" 1964, bei dem ein amerikanisches Kriegsschiff angegriffen wurde, war der Auslöser für erste systematische Bombardements amerikanischer Luftgeschwader, sowie die Verlegung bedeutender Truppenkontingente in die Konfliktregion. Ende der Sechziger Jahre waren bereits über 500.000 amerikanische Soldaten in den Krieg verwickelt. Doch auch sie waren der ausgeklügelten Guerilla-Taktik nicht gewachsen. Am 31. März 1968 willigte Präsident Johnson schließlich der Aufnahme von Friedensverhandlungen zu. Sein Nachfolger Richard Nixon, der seinen Wahlsieg vor allem dem Versprechen verdankte, das Militärabenteuer endlich zu beenden, zog die bereits völlig demoraliserten Truppen schrittweise ab. Am 1. Mai 1975 kapitulierte das von Washington gestützte Regime in Südvietnam. Tags zuvor waren von der US-Marineinfanterie noch die restlichen inSaigon verbliebenen US-Bürger mit Hubschraubern vom Dach der US-Vertretung evakuiert worden. Ho-Chi-Minh hatte seinen Lebenstraum eines vereinten kommunistischen Vietnam erreicht.
Teurer Preis
Doch der Preis war hoch: 70.000 vietnamesische Kinder, behauptet Le Ceo Dai, Arzt und Topexperte für die Spätfolgen von Agent Orange, wurden bisher durch Herbizid-Kontaminiserungen mit Missbildungen und anderen genetischen Defekten geboren, die Felder waren großteils unbebaubar. Eine Million Kriegsversehrte, acht Millionen Flüchtlinge, zwei Millionen Waisen und Witwen - und 600.000 Prostituierte - zählten ebenso zur Hinterlassenschaft. Im Stich gelassen fühlten sich auch viele US-Kriegsveteranen, die, verfolgt von Albträumen den Anschluss an die Gesellschaft oft nicht mehr schafften.
Clintons Reise ruft diese schrecklichen Erinnerungen wieder hervor. Doch er will, wie er selbst im Vorfeld des Besuchs verkündete, einen Beitrag zu Versöhnung leisten. Der Anfang wurde bereits 1988 gemacht, als die Regierung in Hanoi erstmals versprach, bei der Suche nach 1.600 vermissten US-Soldaten zu helfen. Seit 1993 wurden die sterblichen Überreste von 382 US-Militärs in die USA gebracht, nach den übrigen wird noch gesucht.
Auch wirtschaftlich fand die Normalisierung der Beziehungen seinen Niederschlag: 1994 hob Clinton das Handelsembargo auf, seither rennen US-Konzerne in Scharen nach Hanoi, um einen Teil vom sich langsam öffnenden vietnamesischen Markt abzukriegen. Die Firmen, die Clinton begleiten, lesen sich wie das "Who is Who" der US-Wirtschaft: Boeing, Coca-Cola, General Motors, Cisco Systems und Nike. Obwohl mit 333 US-Dollar das pro-Kopf-Einkommen in Vietnam weltweit zu den niedrigsten zählt: den 78-Millionen-Markt will sich niemand entgehen lassen.