Angesichts überfüllter Gefängnisse in Österreich fordert eine Gruppe von Justizexperten unter dem Motto "Mehr Sicherheit durch weniger Haft!" eine Reihe von Maßnahmen, die nicht nur Haftplätze sparen helfen, sondern auch die Sicherheit im Land verbessern sollen.
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"Haftzahlen sind kein Naturereignis, sie sind beeinflussbar", ist Kriminalsoziologe Arno Pilgram überzeugt. Er ist einer von sieben Justizexperten, die auf Initiative des Wiener Universitätsprofessors Wolfgang Gratz zusammenfanden, und die am Freitag ihre Vorschläge präsentierten:
U-Haft: "Jede Freiheitsstrafe ist ein Schnitt ins Fleisch der Gesellschaft", warnte Strafrechtler Frank Höpfel. Die U-Haft sei besonders heikel, weil jemand abrupt aus dem Leben und aus dem Wirtschaftsprozess herausgerissen werde. Höpfel plädiert für die Einschränkung der Haftgründe nach deutschem Vorbild. Derzeit kann in Österreich die U-Haft wegen Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr verhängt werden. Geht es nach Höpfel soll Tatbegehungsgefahr nur mehr als Grund dienen, "wenn es um eine besonders gefährliche Tat geht".
Alternativen zur Haft: Statt kurzer Freiheitsstrafen können sich die Experten "elektronisch überwachten Hausarrest", gemeinnützige Arbeit, Halbgefangenschaft und tageweisen Vollzug vorstellen.
Gewerbsmäßigkeit: Rechtsanwalt Richard Soyer erinnerte daran, dass in Österreichs Gefängnissen "überwiegend keine Schwerverbrecher sitzen". Durch die Deliktsqualifikation der gewerbsmäßigen Tatbegehung würde der Strafrahmen etwa bei Ladendiebstählen in die Höhe getrieben. "Dabei sind die Tatbestandselemente äußerst vage - schon eine einmalige Tatbegehung kann dazu führen, dass der Täter mit fünf Jahren statt sechs Monaten Haft rechnen muss." Soyer spricht sich für objektive Kriterien der Deliktsqualifikation - "etwa fünfmalige Tatbegehung" - aus.
Weniger Rückfälle durch mehr bedingte Entlassungen: "Obwohl es laut Gesetz der Regelfall sein sollte, werden nicht die meisten Häftlinge nach zwei Drittel der verbüßten Strafe entlassen", ärgert sich der Wiener Kriminologe Christian Grafl. Während in Deutschland 92 Prozent aller rechtskräftig verurteilten Straftäter vorzeitig auf freien Fuß gesetzt werden, sind es hierzulande 19 Prozent. Dabei stelle die bedingte Entlassung eine der wichtigsten Möglichkeiten dar, den Strafgefangenen günstig zu beeinflussen.
Insgesamt - rechnen die Experten - ließen sich 1.250 Haftplätze einsparen. "Unsere Vorschläge werden nicht zum Nulltarif zu realisieren sein", schließt Gratz, "aber sie ersparen uns die Errichtung und den Unterhalt weiterer Gefängnisse".
Justizminister Dieter Böhmdorfer äußerte sich in einer Presseaussendung zurückhaltend: Die Sicherheit der Bevölkerung sei oberstes Gebot und dürfe nicht auf Kosten einer großzügigen Entlassung von Straftätern gefährdet werden.
Knapp 8.300 Menschen saßen Anfang Mai 2004 in Österreichs Gefängnissen. Ein Jahr zuvor waren es noch 300 weniger gewesen. In Wien sind im größten Gefängnis, der Justizanstalt Josefstadt, derzeit 1.216 Personen eingesperrt (ein Überbelag von 122 Prozent).