Die Begründung des Verfassungsgerichtshofs für die Aufhebung der Wahl im Detail.
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Wien. Um 11.59 Uhr hat der Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), Gerhart Holzinger, allen Spekulationen ein Ende gesetzt. Der Anfechtung der Bundespräsidentenwahl durch die Freiheitlichen werde stattgegeben, die Stichwahl "muss in ganz Österreich zur Gänze wiederholt werden", sagte er. Mit Blick auf die mündliche Begründung wird klar, warum die Richter genau so entschieden haben:
Holzinger betonte, dass Wahlgesetze "als Formalvorschriften streng nach ihrem Wortlaut auszulegen sind" - eine deutliche Rüge für die in den vergangenen 14 Tagen bekannt gewordenen Gesetzesbrüche. Deutlich betonte Holzinger auch, dass das Öffnen der Wahlkarten eine Aufgabe der "Wahlbehörde als Kollegium" sei. Dass die Wahlkarten in vielen Bezirken nur durch Beamte oder den Wahlleiter "aufgeschlitzt" wurden, stellte für die Richter einen Verstoß gegen den Grundsatz der geheimen Wahl dar.
77.926 Stimmen waren theoretisch manipulierbar
Von 20 untersuchten Bezirkswahlbehörden sieht der VfGH diesen Verstoß in 14 als erwiesen an - dort ging es um insgesamt 77.926 Stimmen. Auch wenn keiner der Zeugen einen Hinweis auf eine tatsächliche Manipulation geben konnte, so ist alleine die Möglichkeit, dass diese Stimmen durch das frühe Öffnen manipuliert hätten werden können, ausschlaggebend, einer Wahlwiederholung stattzugeben. Denn der Abstand zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer betrug nur 30.863 Stimmen - die Zahl der theoretisch manipulierten Stimmen war also mehr als doppelt so hoch wie der Abstand zwischen den beiden Kandidaten. Damit folgen die Richter einem Erkenntnis des Vaters der Verfassung, Hans Kelsen aus 1927: Kelsen und Kollegen hielten fest, dass es um die theoretische Manipulierbarkeit ging. Auslöser war eine Anfechtung der Bezirksvertretungswahl in Währing, wo der Abstand zwischen zwei Parteien 36 Stimmen betrug, aber 184 Stimmen manipulierbar waren. Warum haben die Richter die Wahl dann nicht nur in einzelnen Bezirken aufgehoben? Das liegt an der speziellen Situation bei der Bundespräsidentenwahl.
Aufhebung musste ganz Österreich betreffen
Anders als bei anderen Urnengängen werden Wahlkarten, die in einem fremden Wahllokal abgegeben werden, auch dort ausgezählt. Damit ist die Stimme nicht mehr zurückzuverfolgen und es besteht die Möglichkeit der Doppelwahl (einmal mit Briefwahl in einem anderen Wahllokal, bei der Wahlwiederholung dann im eigenen Wahllokal).
Für die Gesamtaufhebung der Wahl hat auch ein anderer Punkt gesorgt: Seit Jahrzehnten schon liefert das Innenministerium am Wahlsonntag ab etwa 13 Uhr die Resultate der ersten Gemeinden unter anderem an Austria Presse Agentur und Forscher - versehen mit einer Sperrfrist, die die Veröffentlichung vor Wahlschluss um 17 Uhr verbietet. Die Höchstrichter sehen hier einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Wahl, da dadurch die Wahlentscheidung beeinflusst werden könne. Vor allem durch neue Medien könne nicht garantiert werden, dass die Sperrfrist eingehalten werde. Allein schon aus diesem Grund sei die Wahl aufzuheben gewesen, sagte Holzinger.