Hamburg - Die Richter des Hanseatischen Oberlandesgerichtes haben im ersten deutschen Terrorprozess wegen der Anschläge vom 11. September 2001 eine schwere Aufgabe: Sie müssen ab dem morgigen Dienstag herausfinden, wer Mounir Al Motassadeq wirklich ist.
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Ist der Angeklagte einer der sieben Männer, die den schlimmsten Terroranschlag der jüngeren Geschichte vorbereitet und umgesetzt haben, und hat er den Tätern ihr Werk erst ermöglicht, wie es die Bundesanwaltschaft sieht? Oder ist er ein braver religiöser Student aus Marokko, der sich rührend um seine arabischen Freunde kümmerte, die ihm in der Fremde Halt gaben? So oder so ähnlich wird wohl die Linie der Verteidiger aussehen.
Bisher weiß man wenig über den 28 Jahre alten Mann, der 1993 nach Deutschland kam, um zu studieren. Nach Recherchen des "Stern" ist er in den Gassen von Marrakesch aufgewachsen, Sohn eines Arztes und guter Schüler. In Deutschland landete er zunächst in Münster, wo er Deutsch lernte und sich als begabter Fußballer hervortat. Doch eines fiel den anderen Kickern schon damals auf, wie das Blatt berichtete: Der Moslem Motassadeq behielt beim Duschen immer eine Badehose an. 1995 ging er nach Hamburg, um an der TU Harburg Elektrotechnik zu studieren.
Fest steht für Generalbundesanwalt Kay Nehm, dass Motassadeq den Haupttäter Mohamed Atta spätestens 1996 kennenlernte. Als Zeuge unterschrieb er damals das Testament Attas - möglicherweise ein Indiz, dass Atta bereits damals an den Tod als Märtyrer dachte, wie Nehm meint. Später lernte Motassadeq dann die anderen Gruppenmitglieder Marwan Al Shehhi und Ziad Jarrah kennen.
Allah-Anbetung und konspirative Treffen
Sie beteten zusammen in der Harburger Moschee, gründeten an der Universität die Islam AG und trafen sich häufig in der inzwischen berüchtigten Keimzelle, der Wohnung in der Harburger Marienstrasse, in der Motassadeq allerdings nicht wohnte. Laut "Stern" lebte Motassadeq nach den Regeln des Korans, lief aber westlich gekleidet herum.
Spätestens 1999, so die Ermittler, gründeten Atta und seine sechs Kameraden eine terroristische Vereinigung. Nach Ansicht der Bundesanwälte hat Motassadeq zwei Mitglieder des Zirkels selbst mitgebracht: Said Bahaji und Zakariya Essabar, die beide mit Haftbefehl gesucht werden.
Was soll der mit einer jungen Russin verheiratete Motassadeq nun genau getan haben? Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in mindestens 3.116 Fällen vor.
Laut Nehm hat Motassadeq das Konto des Todespiloten Al Shehhi verwaltet. Hierauf sei Geld aus der Heimat von Shehhi eingegangen, den Arabischen Emiraten. Motassadeq habe eine Kontovollmacht und eine EC-Karte dafür gehabt. Von dem Konto sei Geld für die Flugausbildung der Terrorpiloten geflossen. Motassadeq sorgte laut Nehm auch dafür, dass die zur Flugausbildung in die USA gereisten Haupttäter weiter als Studenten eingeschrieben blieben. Sonst hätte möglicherweise ein Verdacht entstehen können. Einmal soll der Angeklagte auch in einem Trainingscamp in Afghanistan gewesen sein. Das sagt jedenfalls laut "Stern" der jordanische Zeuge Shadi A., auf den sich die Anklage vor allem stützt. Er will Motassadeq und andere dort gesehen haben.
Bereits drei Tage nach den Anschlägen geriet Motassadeq ins Visier der Ermittler, als bekannt wurde, dass er zwei Jahre lang eine Vollmacht über das Konto Al Shehhis hatte. Am 28. November 2001 wurde Motassadeq verhaftet.
Die Anwälte Hans Leistritz und Hartmut Jacobi sprechen dagegen von Feststellungen der Ankläger "ohne jeden Beweiswert". Motassadeq werde aussagen, kündigen sie an. Er selbst bestreite alle Vorwürfe. Die Zahlungen seien Freundschaftsdienste gewesen, von den Anschlagsplänen habe der Student nichts gewusst.
Die Verteidiger setzen darauf, den Hauptbelastungzeugen Shadi A. zu demontieren, über den selbst die Ermittler laut "Stern" zu Beginn der Vernehmungen vor lauter Ungereimtheiten den Kopf schüttelten. Shadi A. wolle auch den unlängst verhafteten Helfershelfer Abdelghani Mzoudi in Afghanistan erkannt haben.
Der Prozess selbst wird eine Prüfung für alle Beteiligten: Zunächst sind rund 30 Termine angesetzt, möglicherweise werden über 100 Zeugen gehört. Für 20.000 Euro wurde der Verhandlungssaal umgebaut, um den hohen Sicherheitsanforderungen zu genügen. Al Motassadeks Vater darf den Prozess seines Sohnes nicht mitverfolgen: Ihm wurde das Einreise-Visum verweigert.