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Staudamm statt Atomkraftwerk

Von Christian Rösner

Wirtschaft

Vorübergehender Baustopp erwirkt. | Präsidentin will Projekt unbedingt. | Ricupero: Zuckerrohr als Alternative. | Sao Paulo. Brasilien erlebt einen enormen Wirtschaftsaufschwung - und braucht Energie. Der Bau des dritten Atommeilers in Angra dos Reis im Bundesstaat Rio de Janeiro wurde nach der Katastrophe in Japan vorläufig eingestellt. Auch der Bau des drittgrößten Wasserkraftwerks der Welt (nach China und Paraguay) in Belo Monte wurde Anfang März gestoppt. Angesichts der Atom-Debatte hofft nun die brasilianische Regierung zumindest auf Rückenwind in Sachen Wasserkraft.


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Kritiker befürchten durch das Staudamm-Projekt unkalkulierbare Auswirkungen auf die Umwelt und sehen die Lebensgrundlage der Indios massiv bedroht. Für den Kraftwerksbau müsste immerhin eine Fläche von 512 Quadratkilometern überflutet und 16.000 Menschen umgesiedelt werden - auch von 50.000 war schon einmal die Rede.

Im Jänner hatte die Umweltbehörde grünes Licht für die Rodung von 240 Hektar Wald gegeben. Doch die Gerichte stoppten das Projekt wegen nicht erfüllter Umweltauflagen - vorläufig. Denn die brasilianische Generalprokuratur der Bundesregierung wehrte sich vehement und hat bereits Berufung eingelegt.

Ein Ökonom von Bradesco, Brasiliens zweitgrößter Bank, gibt sich zuversichtlich: "Angesichts unseres Wirtschaftswachstums von 7,5 Prozent im Jahr 2010 brauchen wir jedenfalls die Energie", betont Fernando Honorato Barbosa am Rande eines Empfangs für die Delegation der Wiener Wirtschaftskammer in Sao Paulo unter der Führung von Präsidentin Brigitte Jank. Der Aufschwung habe jetzt schon viele neue Konsumenten in die untere Mittelschicht gebracht, die vor wenigen Jahren noch im Elend lebten. "Und in den kommenden zehn Jahren werden rund neun Millionen Menschen dazukommen", so Barbosa. Umweltbedenken hat er keine: "Präsidentin Dilma Rousseff war unter ihrem Vorgänger Lula da Silva unter anderem für Energiebelange zuständig - die künftige Umsetzung des Kraftwerks ist in besten Händen", so der Ökonom. Der Weiterbau sei nur eine Frage der Zeit.

"Projekt ist gefährlich"

"Ich bin total gegen dieses Projekt, es ist gefährlich", sagt dagegen der frühere Finanzminister und Leiter der UN-Organisation für Entwicklungsländer, Rubens Ricupero. Belo Monte werde mittlerweile von Technikern und Branchenexperten kritisiert: zu hohe Kosten, nicht genug Energiepotenzial und zu hohe Umweltbeeinträchtigungen. Doch der Druck der Regierung scheint groß: "Ein Umweltminister musste gehen, weil er gegen das Kraftwerk war", erzählt Ricupero, der in den 90er Jahren in der Regierung war. Der ehemalige Finanzminister gibt auch zu bedenken, dass die im betroffenen Gebiet lebenden Indios endlich ihren Platz in der Gesellschaft gefunden und Selbstbewusstsein entwickelt hätten. "Die Absiedelung würde das extrem gefährden." In Brasilien leben 800.000 Indios in 580 Reservaten auf einer Fläche, die zweimal so groß ist wie Spanien. Ricuperos Alternativen zum Staudamm: "Man könnte aus den Abfällen der Bio-Ethanol-Produktion Energie gewinnen." Brasilien ist der weltweit größte Produzent von Biotreibstoff - durch die Abfallverwertung könnte Zuckerrohr effizienter genutzt werden. Außerdem werde soviel Wasser und Energie verschwendet, dass man mit Investitionen in Umwelttechnik 50 Prozent einsparen könnte, so Ricupero. Doch für die Regierung dürften 800.000 Indios im Vergleich zur Gesamtbevölkerung von 192 Millionen Menschen keine relevante Größe darstellen.

Österreich zurückhaltend

Von österreichischer Seite wollte man sich diesbezüglich gar nicht äußern - war doch vor kurzem Kritik an der am Kraftwerksbau mitwirkenden Andritz AG aus Österreich laut geworden. "Andritz ist lediglich peripher mit einem Jointventure beteiligt und weder Projektbetreiber noch Investor", erklärte der österreichische Handelsdelegierte für Brasilien, Ingomar Lochschmidt. Mittlerweile droht Andritz auch wegen zwei anderen im Bau befindlichen Staudämmen am brasilianischen Rio Madeira Ärger. Bei beiden ist Andritz involviert, beide sind wegen der ökologischen und sozialen Folgen heftig umstritten.