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Die deutsche Bundesregierung leistet sich hochkarätige Berater, nämlich den "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung". Kein Wunder, dass das Gremium viel eher salopp als "die fünf Wirtschaftsweisen" geläufig ist. Wenn sich die Experten, die ein breites Ideologiespektrum repräsentieren, zu Wort melden, haben ihre Expertisen Hand und Fuß.
Dennoch ist Kanzlerin Angela Merkel höchst schlecht beraten. Sie leistet sich nämlich den Luxus, nicht auf ihre Berater zu hören. Schon im November 2011 hat der Sachverständigenrat sehr klar argumentiert, wie eine gemeinsame Schuldenhaftung für Deutschland akzeptabel wäre. Die Weisen haben dafür einen Schuldentilgungsfonds entworfen. Dieser unterscheidet sich markant von einer Vergemeinschaftung der Kreditaufnahme, wie sie mit Eurobonds diskutiert (und von Deutschland abgelehnt) wird.
Die Weisen warnen, dass die Verunsicherung der Finanzmärkte dazu führen könnte, dass Länder trotz Sparkurs an den Rand des Zusammenbruchs gebracht werden - siehe Spanien und Italien. Dann gerieten die Euro-Rettungsschirme an ihre Grenzen. "Es drohte dann entweder ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Währungsunion oder ein ordnungspolitisch höchst bedenklicher, unbegrenzter Ankauf von Wertpapieren durch die EZB."
Die Alternative wäre der Schuldentilgungspakt: Dieser sieht vor, dass alle Länder jenen Teil der Staatsverschuldung, der 60 Prozent der Wirtschaftsleistung überschreitet, in einen Tilgungsfonds einbringen. Es entstünde ein Anleihenbestand von rund 2,3 Billionen Euro. Italien hätte daran mit 41 Prozent den größten Anteil, gefolgt von Deutschland mit 25 Prozent. Im Gegenzug müssten sich die Länder auf einen Abbauplan über 20 bis 25 Jahre verpflichten. Für die (begrenzte) Neuverschuldung würde eine gemeinschaftliche Haftung übernommen. So entstünden sichere Anleihen, den Gläubigern wäre die Rückzahlung garantiert - die Staaten wären "unbelastet".
Das Konzept garantiert, dass die Staaten nicht unbegrenzt neue Schulden machen, und es könnte der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe standhalten, argumentieren die Weisen. Merkel müsste nicht einmal eine 180-Grad-Wende vollziehen: Alle Kriterien, die die Weisen im Gegenzug für den Tilgungsfonds fordern, sind schon in Rechtsform gegossen. Die Vorbedingungen sind nämlich praktisch ident mit dem Fiskalpakt: nationale Schuldenbremsen, Abbau der Schulden jährlich um ein Zwanzigstel. Merkel müsste beim EU-Gipfel nur Ja sagen. Aber es bleiben ja immer noch vier Tage Zeit für einen Sinneswandel . . .