Zum Hauptinhalt springen

Steinbrücks Ethos

Von Patrick Schneider

Gastkommentare
0
Patrick Schneider lebt als Theatermacher und freier Autor in Wien.

Warum die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die kommende Bundestagswahl bereits gewonnen hat.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Es ist eine außergewöhnliche Situation. Vier Monate vor der deutschen Bundestagswahl will der Wahlkampf noch nicht so recht anlaufen und doch ist die Kanzlerfrage bereits entschieden. Die SPD wird die Bundestagswahl wegen ihres Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück verlieren oder trotz Peer Steinbrück gewinnen. Seitdem im vergangenen September die SPD-Führungsriege Steinbrück als Kanzlerkandidaten vorstellt hat, entzieht ihm die Wählerschaft kontinuierlich die Sympathie. Für die Bürger ist er der "Problem-Peer", dem keine geschickte Regierungsführung zuzutrauen ist. Angela Merkel hingegen geht in den Umfragen als die große Sympathieträgerin und Regierungschefin der deutschen Herzen hervor.

Schon seit Jahren wird von der breiten Öffentlichkeit eine Chronik der Steinbrück’schen "Fettnäpfen" geführt. Bereits als Finanzminister der großen Koalition stand Peer Steinbrück mit unangemessener Wortwahl unter Beobachtung. Steuerflüchtigen drohte er mit der "Peitsche", Steueroasen gleich mit einer ganzen "Kavallerie". Das hörte im benachbarten Ausland kaum einer gern, im Inland aber noch relativ viele. Skandalisiert wurden Äußerungen Steinbrücks jedoch ab dem Zeitpunkt seiner Ernennung zum SPD-Kanzlerkandidaten. Jetzt standen seine Äußerungen zunehmend im Zusammenhang mit dem Amt des Kanzlers. Auf die Empörung im Kontext einer Kindergelderhöhung vom Dezember letzten Jahres folgte kurz darauf das Ärgernis um das Kanzler-Gehalt, schließlich zur Wahl in Italien im Februar das Clown-Skandalon mit diplomatischer Verstimmung und zuletzt im April auch noch der Geschlechtergetrennte-Schulsport-Anstoß.

Bemerkenswert an der Skandalisierung ist, dass die öffentliche Empörung über seine Äußerungen die Auseinandersetzung mit den sachpolitischen Positionen verdrängt hat. Denn mit etwas Wohlwollen ließe sich aus den Äußerungen ein diskutables Meinungsbild des SPD-Kanzlerkandidaten destillieren.

Frei nach Schnauze reden heißt auf der politischen Bühne aber, sich um das eigene Ethos zu sorgen, statt um die Wählergunst zu buhlen. Die Medien und die Wähler sind klug, sie kennen die scharfe Grenze zwischen dem bürgerlichen Raum der Redefreiheit und dem politischen Raum der "professional correctness". Sie wollen, dass der kommende Regierungschef sein Selbst unter die Gemeinschaft unterordnet. Die Unterordnung darf notfalls auch durch das Schweigen angezeigt werden, mit dem Angela Merkel Helmut Kohls Aussitzen interpretiert. Merkels Schweigen und ihre gewürdigtes rhetorisches Geschick, das ihr Selbst verbirgt, zeichnet sie als besonnene und machtpolitische Demokratin.

In einem Kabinett von Politikerfiguren steht Merkel als die saubere Staatsfrau par excellence diametral dem trickreichen Hochstapler und selbstverliebten, post-demokratischen "Clown" Silvio Berlusconi gegenüber. Irgendwo dazwischen reibt sich Peer Steinbrück auf und wird als Kanzlerkandidat der SPD die Bundestagswahl am 22. September verlieren. Die Niederlage aber, so sind wir gewiss, wird Steinbrück seinem Selbst zuschreiben.