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Steiniger Weg zur Bürgerbeteiligung

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv
EU-Bürger sollen mit Anliegen bald Brüssel befassen können - noch ist es allerdings nicht soweit. Foto: bilderbox

Verhandlungen über die Machbarkeit stecken fest. | Technik für eine geeignete Plattform im Internet fehlt. | Regierung in Wien gegen Neun-Länder-Schwelle. | Brüssel. Seit mehr als einem halben Jahr ist der Lissabonner Vertrag in Kraft. Mit der Europäischen Bürgerinitiative sollte er einer Million Menschen die Möglichkeit geben, die EU-Kommission mit ihrem Anliegen zu befassen. Dieses könne im Idealfall sogar zu einem entsprechenden EU-Gesetz werden.


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Doch das Ringen um mehr direkte Demokratie in der EU ist noch längst nicht abgeschlossen. Denn was einfach klingt, ist in der Umsetzung kompliziert und noch weit davon entfernt zu funktionieren. Das derzeitige EU-Vorsitzland Spanien hat sich vorgenommen, noch im Juni eine Einigung unter den Mitgliedstaaten zu erzielen. Das gilt als ziemlich ehrgeizig. Und das EU-Parlament hat gerade erst begonnen, sich formell mit dem Thema zu beschäftigen. Der zuständige EU-Kommissar Maros Sefcovic aus der Slowakei wünscht sich eine Einführung des neuen EU-Volksbegehrens zum ersten Geburtstag des Lissabonner Vertrags am 1. Dezember.

Kernprobleme in den Verhandlungen sind die Zulässigkeitsprüfung eines Anliegens durch die EU-Kommission und die Teilnahme an der Bürgerinitiative über Online-Plattformen. Im ersten Fall hat Sefcovic vorgeschlagen, dass seine Behörde erst einmal rasch feststellt, ob der Inhalt des Begehrens mit den europäischen Werten vereinbar und realistisch ist. So sei etwa die Einführung der Todesstrafe oder eine Kampagne für eine Fantasiefigur als EU-Präsident auf keinen Fall zulässig. Sind die Grundbedingungen erfüllt, wird die Initiative in ein zentrales öffentliches Register eingetragen.

EU-Kommission fordert 300.000 Unterschriften

Um tatsächlich gültig zu sein, muss die Initiative aber auch einen betreffen, für den die EU auch zuständig ist. Das will die Kommission erst dann prüfen, wenn 300.000 Unterschriften gesammelt worden sind. Die Behörden der Mitgliedstaaten müssten die Stimmen bei dieser Schwelle und am Ende verifizieren, wenn die Million erreicht wird. Diesen bürokratischen Aufwand möchten sich viele EU-Länder gerne ersparen - zumal die Abgabe der Unterstützungserklärung keineswegs wie bisher in Österreich üblich nur auf Gemeindeämter und Magistrate beschränkt werden soll.

Und für die Online-Stimmensammlung gebe es überhaupt noch keine ausgereiften Plattformen, über die die Authentizität der Unterstützer zuverlässig geprüft werden könnte, monieren Experten. Ein paar Mitgliedstaaten haben schon vorgeschlagen, ein zentrales Online-Portal bei der EU-Kommission für die elektronische Sammlung der Unterstützungserklärungen zu etablieren. Mit Blick auf bisherige EDV-Projekte, die die Kommission verwaltet, dürfte diese Idee manchen kalte Schauer über den Rücken jagen. Ein Beispiel ist die seit Jahren verschleppte neue Polizei-Fahndungsdatenbank für den Schengenraum. Nur die Esten, Vorreiter beim E-Voting, sehen der Herausforderung angeblich völlig entspannt entgegen.

Die Kommission spielt die Probleme herunter: Für die Prüfung der Zulässigkeit müssten ja nicht alle 300.000 Unterschriften verifiziert werden, hieß es. Repräsentative Stichproben täten es auch. Möglicherweise müsste die Schwelle aber noch heruntergesetzt werden, ein skandinavisches Land habe 50.000 vorgeschlagen. Interesse an einer EDV-Einbindung über das Register der EU-Volksbegehren hinaus habe die Kommission im Übrigen nicht.

Durchsetzen dürfte sich im Kreis der Mitgliedstaaten trotz einiger Widerstände die Mindestzahl von neun teilnehmenden Ländern, wie Sefcovic das vorgeschlagen hat. Jedes Land müsste eine Mindestschwelle entsprechend der Abgeordnetenanzahl im EU-Parlament überschreiten. Für Österreich wären bei 19 Abgeordneten laut Lissabonner Vertrag 14.250 Unterschriften notwendig, um gezählt zu werden. Das sind wesentlich weniger als die 100.000 nötigen Stimmen für ein nationales Volksbegehren.

Die Bundesregierung in Wien ist vor allem mit der Neun-Länder-Schwelle unzufrieden, weil für Spezialthemen wie die Erhöhung der Lkw-Maut kaum so viele Staaten vereint werden könnten. Sechs Länder hätten den Österreichern daher besser gefallen. Hier hakt auch die grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek ein: Für eine Zustimmung des Parlaments müssten es jedenfalls weniger als neun Staaten werden, forderte sie. Die Grünen hatten stets fünf gefordert, als Kompromisslösung schlägt Lunacek sieben vor. Für die 300.000er-Schwelle hat sie wenig Verständnis - die Zulässigkeit müsse sofort geprüft werden. Zudem müssten die Initiatoren einer Bürgerinitiative am Anfang und am Ende der Prozedur persönlich eingeladen und umfassend über die Bedingungen und - im Falle der vollen Million - das weitere Vorgehen der Kommission informiert werden. Wenn eine Ablehnung von Folgemaßnahmen nicht stichhaltig begründet werde, sei das gerade in der Zeit wachsender EU-Skepsis eine Verhöhnung der Bürger, mahnte Lunacek.

ÖVPler Rübig will ein Bewerbungshandbuch

Für umfassende Hilfestellungen zur Erleichterung einer Bürgerinitiative spricht sich auch ÖVP-Europaparlamentarier Paul Rübig aus. "Wir schlagen ein Bewerbungshandbuch vor", sagte er. Darin sollen alle Bedingungen und notwendigen Schritte erläutert werden. Nichts hält Rübig von der Idee, die erste Bürgerinitiative zum Thema Finanztransaktionssteuer abzuhalten, wie es Bundeskanzler Werner Faymann vorgeschlagen hat. "Das dauert Jahre", sagte er. "Faymann ist doch eine agierende Person, die dafür verantwortlich ist, das Thema im Kreis der Staats- und Regierungschefs voranzubringen. Wir brauchen noch heuer eine Entscheidung."

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