Früher Beleg für modisches Zeichensystem der Menschen: 45.000 Jahre alte Meeresschnecken-Ketten mit symbolischer Bedeutung.
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Felle, Tierhäute, Faustkeile: Für die Mode steht die Steinzeit im Allgemeinen eher nicht. Allerdings hüllte man sich bereits ab der Mittelsteinzeit in Gewebtes. Das älteste Flachs, in einer georgischen Höhle in Ton konserviert, wurde sogar auf ein Alter von 34.000 Jahren datiert. Es ist aber davon auszugehen, dass es eher für Fischernetze gebraucht wurde, denn "um Bekleidung herzustellen, braucht man Flachs in Mengen. Sein Anbau war erst ab dem frühen Ackerbau vor 10.000 bis 11.000 Jahren möglich", sagt Karina Gröhmer, Leiterin der Abteilung für Frühgeschichte des Naturhistorischen Museums in Wien.
Die ältesten bekannten Webgewichte und Spindeln stammen aus einer Zeit um 5600 vor Christus. Anders als Filme und Zeichentrickserien von den Feuersteins bis zu Spieldokus mit historisch-wissenschaftlichem Inhalt vermuten lassen, ist aber über das Styling von damals herzlich wenig bekannt. Wir wissen nicht, ob paläolithische Völker sich tatsächlich kesse Lendenschurze oder kurze Röckchen überwarfen. "Vielmehr erschließen wir fast kriminalistisch aus der Positionierung von Elfenbein-, Muschel- und Knochenperlen an sterblichen Überresten, was die Leute anhatten", führt die Spezialistin für prähistorische Textilien aus. Die Annahme sei, dass der Saum dort lag, wo dekorative Elemente, die in Gräbern die Zeit überdauern, angebracht waren.
Textilien konservieren sich nur unter speziellen Bedingungen in Eis oder Salz, an Seeufern oder in Trockenheit. Konkret weiß man von sibirischen Mumienfunden anhand von Perlen um Hals, Taille und Arme, "dass T-Shirt-artige Teile getragen wurden", sagt Gröhmer. Die in den Ötztaler Alpen gefundene Gletschermumie Ötzi hatte zudem röhrenförmige Beinlinge an, die um die Taille mit gürtelartigen Schnüren zusammenhielten. Die Kleidung und Ausrüstung des Eismannes, der um 3275 vor Christus lebte, stammte von fünf verschiedenen Tierarten.
Weiter zurück in der Zeitgeschichte ist die Existenz von Schmuck belegt. "Wir wissen, dass Menschen schon vor vielen Jahrtausenden Schmuckstücke an Körper und Kleidung trugen, die sie als Mitglieder einer schriftlosen Gesellschaft auch nutzten, um einander Botschaften, etwa über Ehestatus, Zugehörigkeit oder Funktion, zu vermitteln", so Gröhmer.
3D-Modelle der Gehäuse
Einen neuen Beleg für das modische Zeichensystem der Menschheit liefert das Österreichische Archäologische Institut der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Die Archäozoologin Marjolein Bosch konnte an 400 der spindelförmigen Gehäuse von Meeresschnecken aus einem 45.000 Jahre alten Fund aus der jüngeren Phase der Altsteinzeit nachweisen, dass diese absichtlich mit Löchern perforiert worden waren und wohl als Schmuck getragen wurden.
Die steinzeitliche Besiedelungsgeschichte des Fundortes Ksar Akil nahe Beirut im Libanon wird seit 100 Jahren erforscht. Im Boden unter einem Felsüberhang hatten Archäologen zahlreiche Steinwerkzeuge und Gehäuse von Meeresschnecken entdeckt. Wie Bosch in einer Aussendung der ÖAW darlegt, wurden die Gehäuse der Schnecke Columbella rustica bewusst perforiert, um Schmuck herzustellen. Zum Nachweis solcher Absichten zog die Forscherin die Gehäuse einer verwandten Art namens Columbella adansoni heran, die sie an einem Strand in Teneriffa gesammelt hatte, da diese den Fundstücken bezüglich der Verteilungsmuster der Schalendicke ähnlich sind. Dann untersuchte sie die Gehäuse mit Hilfe von Mikro-CT-Scans auf robuste und zerbrechliche Zonen. "Im Anschluss haben wir 3D-Modelle angefertigt, die die genaue Struktur der bis zu zwei Zentimeter großen Gehäuse zeigten - sprich wo diese dünner oder dicker waren."
Ausgehend davon konnte Bosch schließlich systematisch erfassen, an welchen Stellen sich bei den Schneckenhäusern aus Teneriffa und jenen aus dem archäologischen Fund Löcher befanden. "Bei den von mir am Strand gesammelten Gehäusen trat die überwiegende Mehrheit der Perforationen in strukturschwachen Zonen auf", erklärt sie. Bei den archäologischen Funden lagen die Löcher hingegen häufiger in robusteren Zonen. Zudem waren Größe und Form der Perforationen einheitlicher als bei den Gehäusen vom Strand.
Die Archäozoologin zieht in ihrer im "Journal of Archaeological Science Reports" veröffentlichten Arbeit den Schluss, dass die Gehäuse der steinzeitlichen Meeresschnecken einerseits bewusst ausgewählt und andererseits im Zuge eines geplanten Herstellungsprozesses perforiert wurden.
"Diese Meeresschnecken sind zu klein zum Essen, sie wurden also aus anderen Gründen gesammelt", führt sie aus. Aus der Lochform und der Beschaffenheit der Lochränder schließen sie und ihr Team, dass die Löcher mit einer indirekten Schlagtechnik seriell hergestellt wurden.
Die Archäozoologin geht davon aus, dass der Muschelschmuck eine Bedeutung jenseits des Ornaments hatte. "In der Zeit, aus der sie stammen, fand eine starke Wanderbewegung Richtung Eurasien statt. Wir bemerken eine zahlenmäßige Explosion an Muscheln und Perlen in Fundstätten aus dieser Periode", erklärt Bosch im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
"Insbesondere scheint auch die spiralenartige Form von Columbella rustica eine Rolle gespielt zu haben, zumal sie auch anderen Materialien, wie Elfenbein oder Knochen, verliehen wurde", sagt sie. Andere Formen - Bosch liegen auch zahlreiche flache, runde und längliche Weichtierschalen vor - könnten für anders geartete Aussagen stehen. Denkbar sind laut der Wissenschafterin verschiedene Signale zu Familienstatus, Gruppen- und Stammeszugehörigkeit, sozialer Stellung und gesellschaftlicher Funktion. "Auch die Stilistik der Ausführung kann variieren", sagt Bosch, "und das wären dann typische Modestatements."
Zu klein zum Essen
Sich durch Kleidung und Schmuck von anderen abzugrenzen, ist somit eine uralte Kulturtechnik. "Seit etwa 50.000 Jahren drückt sich der Mensch durch sie aus. Kleidung und Schmuck gliedern die Gesellschaft, signalisieren Herkunft und werden bei bestimmten Tätigkeiten angelegt", sagt Karina Gröhmer. "Dahinter stehen soziale Gesetze."
Mitunter erteilt auch das Material Auskunft über gesellschaftliche Haltungen. Eine Untersuchung archäologischer Funde aus Nordosteuropa zeigt, dass Steinzeitmenschen vor 8.200 Jahren menschliche Knochen als schmuckvolle Anhänger anfertigten. Laut der Universität Helsinki, die Funde aus dem russischen Karelien analysiert hatte, lässt diese Praxis auf eine besondere Weltanschauung schließen. Die Tatsache, dass auch menschliche Knochen zu Anhängern gemacht wurden, spräche für den hohen symbolischen Wert der Schmuckstücke und ein enges Zusammenleben zwischen Mensch und Tier.
Die Gehäuse der Meeresschnecken dürften jedenfalls eine symbolisierte Bedeutung gehabt haben, die von vielen Menschen verstanden wurde - eine gemeinsame Sprache, als Halsketten getragen oder an Kleidung befestigt.