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Steirer rennen gegen ÖVP-Parteilinie

Von Walter Hämmerle

Politik

Flächendeckende Gesamtschule erst in 15 Jahren. | Heftige Kritik an Wiener SPÖ. | Warnung vor Pilotversuchs-Chaos. | Wien. Von einem kränkelnden Selbstbewusstsein sind Steirer selten befallen. Schon gar nicht in der Politik. Kraftlackelei gehört hier quasi zum guten Ton - man denke nur an die legendäre Telefonszene, als der steirische Landeshauptmann den designierten neuen Bundeskanzler vor laufenden TV-Kameras in der Leitung warten ließ.


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Seit die ÖVP in Graz auf den zweiten Platz hinter die SPÖ zurückgefallen ist, tritt man hier gegenüber Wien zwar um nichts weniger laut auf, allerdings kann es passieren, dass man mitunter persönlich den Semmering gen Norden überqueren muss, um auch so richtig gehört zu werden. So geschehen etwa am Dienstag Abend, als die steirische Wissenschafts- und Verkehrslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder (35) zum Hintergrundgespräch in ein Wiener Szene-Beisl lud.

Im Mittelpunkt stand das - neben den Eurofightern - innenpolitische Thema Nummer eins, die Gesamtschule.

Edlinger-Ploder ist die derzeit wohl leidenschaftlichste schwarze Befürworterin einer gemeinsamen Schule der 5- bis 15-Jährigen. Dass diese ganztägig sein müsse, ist für sie selbstverständlich. Auch die Lehrer müssten dann ganztägig anwesend sein.

Dass dieser Standpunkt in ihrer eigenen Partei alles andere als mehrheitsfähig ist, ficht sie dabei nicht an. Viel Überzeugungsarbeit hat Edlinger-Ploder auch in der Bevölkerung vor sich: Laut einer Umfrage des Klagenfurter Humaninstituts sind 38 Prozent dafür, 29 Prozent dagegen und der große Rest noch unentschlossen. In den meisten anderen Umfragen überwiegt sogar die Zahl der Gegner.

Wenig verwunderlich, dass Edlinger-Ploder daher bemüht ist, die Angst vor dem Neuen, Fremden, zu nehmen. Ihr Hauptargument ist dabei der Zeit-Faktor: Eine qualitätsvolle flächendeckende Einführung sei frühestens in 15 Jahren möglich. Dieser Zeitpunkt biete sich auch an, weil dann die größte Pensionierungswelle bei den Lehrern anstehe.

AHS-Lehrer gegen

Gesamtschule

Vor allem die AHS-Lehrer zählen zu den entschiedensten Gegnern einer Gesamtschule. Erst am Mittwoch sprachen sich die niederösterreichischen AHS-Direktoren für eine Weiterentwicklung des differenzierten Schulsystems aus.

Dass es ohne die Lehrer nicht gehen wird, gesteht auch Edlinger-Ploder zu. Auch im neuen System werde nicht jeder Lehrer gleich sein, versucht sie hier Ängste auszuräumen. Allerdings: Die Ausbildung von AHS-Lehrern entspreche längst nicht mehr den heutigen Anforderungen.

Dementsprechend wertet es die steirische Politikerin als verpasste Chance, dass die Installierung der Pädagogischen Hochschulen nicht zu einer einheitlichen Lehrerausbildung geführt hat - die AHS-Lehrer werden ja weiterhin an den Unis auf ihren Job vorbereitet. Edlinger-Ploder schwebt dagegen eine einheitliche Pädagogen-Ausbildung vor, bei der das Bakkalaureat den ersten Abschluss bildet. Ein solches System würde über die aufbauenden akademischen Stufen eine Weiterentwicklung des Lehrerberufs ermöglichen, die derzeit nicht besteht.

Einzelne Pilotversuche in kleinräumigen Bildungsregionen, wo es schon jetzt keine AHS gebe, seien durchaus sinnvoll. Diesen sollte man rund vier Jahre Zeit geben. Angesichts der plötzlich ausgebrochenen Experimentierlust warnt Edlinger-Ploder jedoch vor einem "Chaos", das das gesamte Projekt gefährde.

Vor allem der Plan der Wiener SPÖ, bereits 2009 die Gesamtschule in der Bundeshauptstadt einzuführen, ist für Edlinger-Ploder ein Wahnsinn.

Ohne Vorbereitung droht Fiasko

Vor allem in Ballungsräumen dürfe man dieses Projekt erst nach gründlicher Vorarbeit angehen: "So wie das jetzt angegangen wird, kann das nur zu einem riesigen Fiasko werden". Bildungsministerin Schmied müsse zeigen, was mit dem neuen Modell gemeint ist.

Grundsätzliche Differenzen mit der SPÖ-Politikerin ortet Edlinger-Ploder nicht: "Hier bewegt sich nicht nur die ÖVP, auch die SPÖ hat sich in die Mitte bewegt. Schmied verwendet ja auch das Wort Leistung ohne rot zu werden, obwohl sie eine Rote ist."

Da gibt es ÖVP-intern mehr Diskussionsbedarf. Am Montag wird Edlinger-Ploder versuchen, die ÖVP-Reformgruppe zum Thema Bildung von ihren Ansichten zu überzeugen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass dies gelingen sollte, bliebe immer noch Parteichef Wilhelm Molterer, der die Beibehaltung der Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Schultypen zur kategorischen Bedingung für die ÖVP erklärt hat.